Die Umwelt prägt – nicht nur den Menschen, sondern auch seine Zellen. Die Oberfläche von Geweben und Nachbarzellen bestimmt in großem Maße die Richtung, in die sich eine noch undiffernezierte Zelle entwickelt. Diesen Effekt wollen jetzt Forscher für medizinische Zelltherapien und Biotechnologie nutzen.
Man hat sich lange nicht gesehen, und doch erkennen wir den alten Bekannten sofort wieder, wenn wir ihm auf der Straße begegnen. Was selbstverständlich erscheint, ist tatsächlich ein kleines Wunder, erklärt Prof. Günter Fuhr vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT: „Hautzellen leben nur ein paar Monate, dann sterben sie ab und werden durch neue ersetzt. Wenn Sie Ihren Bekannten nach Jahren wieder sehen, ist in seinem Gesicht keine Zelle mehr die alte. Trotzdem erkennen Sie ihn. Er sieht – fast – aus wie früher. Alles in allem wird das Grundmuster erstaunlich stabil reproduziert.“
Oberfläche entscheidend
Diese präzise Reproduktion von Zellen lässt sich ausschließlich durch das Genom nicht erklären. „Wenn die Gene allein verantwortlich wären, würden Sie Ihren Bekannten schon nach einigen Monaten nicht wieder erkennen: Bei jeder Zellteilung treten Mutationen auf, die Informationsübertragung ist daher nicht ganz korrekt. Zu einem sehr präzisen Ergebnis führt hingegen die Wechselwirkung zwischen den Zelloberflächen. Sie sorgt dafür, dass die Zelle nahezu passgenau reproduziert wird“, so Prof. Günter Fuhr, Leiter des IBMT und Koordinator des neuen EU-Projekts CellPROM. Zusammen mit 27 Teams aus ganz Europa will der Fraunhofer-Wissenschaftler in den nächsten vier Jahren herausfinden, wie man die Wechselwirkung der Oberflächen nutzen kann, um die Eigenschaften von Zellen zu steuern.
Die Wechselwirkung zwischen Zelloberflächen regelt dabei nicht nur die Form, sondern auch die Funktion einer Zelle. Wenn beispielsweise eine neutrale, noch undifferenzierte Tochterstammzelle an bestimmten Zellen im Knochenmark vorbeidriftet, finden zwischen den Oberflächen makromolekulare Bindungen statt. Diese Reaktionen entscheiden darüber, ob sich die Stammzelle in ein rotes Blutkörperchen verwandelt, das Sauerstoff durch die Blutgefäße transportiert, in eine weiße Blutzelle, die für die Immunabwehr zuständig ist, oder in eine Makrophage, eine Fresszelle, die Viren und Bakterien den Garaus macht. „Die Entscheidung darüber, was für ein Zelltyp sich entwickelt, fällt an der Oberfläche, erst danach wird ein genetisches Programm angeschaltet“, resümiert Fuhr.