Der Blick der anderen: Auch Schimpansen verhalten sich anders, wenn sie beobachtet werden – vor allem, wenn ihnen die Zuschauer vertraut sind, wie ein Experiment belegt. So fällt es den Menschenaffen unter Beobachtung schwerer, simple Computeraufgaben zu lösen. Komplexe Aufgaben meistern sie mit Zuschauern hingegen sogar besser als ohne. Die evolutionäre Grundlage für diesen „Zuschauer-Effekt“ könnte demnach deutlich älter sein als gedacht.
Wir Menschen sind soziale Wesen. Als solche ist unser eigenes Überleben davon abhängig, einer sozialen Gruppe anzugehören, die uns vor Gefahren schützt und sich in Alter und Krankheit um uns kümmert. Dieser Mechanismus mag zwar in der Steinzeit relevanter gewesen sein als heutzutage, doch er ist immer noch tief in unserem Denken und Handeln verankert.
Zuschauer verursachen Druck
Um es uns mit unseren Mitmenschen nicht zu verscherzen, legen wir zum Beispiel bis heute großen Wert darauf, was andere von uns halten. Das wird besonders in Situationen deutlich, in denen andere uns bei einer Tätigkeit über die Schulter schauen – sei es beim Schnippeln von Gemüse oder beim Lösen einer Matheaufgabe. Weil wir im Beisein anderer möglichst perfekt erscheinen wollen, setzt uns ein solches Publikum unter Druck und kann damit dafür sorgen, dass wir schlechter abschneiden, als es ohne Beobachtung der Fall gewesen wäre.
Wie Studien gezeigt haben, gilt das insbesondere für schwierige Aufgaben wie Gedächtnis- oder Lernaufgaben. Die Anwesenheit Dritter lässt Probanden darin in der Regel schlechter abschneiden. Es gibt aber auch Fälle, in denen Beobachter unsere Leistung steigern. Eine Studie wies zum Beispiel nach, dass wir uns in einem Labyrinth besser zurechtfinden, wenn jemand bei der Navigation zuschaut.
Achten Affen auf Publikum?
Wie aber sieht das bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, aus? Wirkt der Zuschauer-Effekt auch auf sie? Um das herauszufinden, haben Forschende um Christen Lin von der Universität Kyoto die Leistung mehrerer Schimpansen bei drei Computeraufgaben unterschiedlichen Schweregrades untersucht – jeweils mit und ohne menschliches Publikum. Dieses bestand in einigen Durchgängen aus vertrauten Menschen, beispielsweise den Betreuern der Schimpansen, in anderen dagegen aus Fremden.
Die Primaten mussten in den Tests jeweils Zahlen in aufsteigender Reihenfolge auf einem Bildschirm antippen. Dabei wurden die Aufgaben je nach Durchgang immer schwieriger. Auf der schwierigsten Stufe etwa wurden nach dem Antippen der ersten Ziffer die anderen wieder ausgeblendet. Die Affen mussten sich deren Position am Bildschirm also möglichst schnell einprägen. Doch spielt Publikum für den Erfolg der Schimpansen eine Rolle?
Je vertrauter die Zuschauer, desto stärker der Effekt
„Man würde nicht erwarten, dass ein Schimpanse sich besonders darum kümmert, ob eine andere Spezies ihm bei der Ausführung einer Aufgabe zusieht“, sagt Lin. Doch genau das ist offenbar der Fall, wie die Experimente zeigten. Das Verhalten der Schimpansen änderte sich in Abhängigkeit von den Zuschauern und dem Schwierigkeitsgrad der Aufgaben. Je mehr bekannte Beobachter anwesend waren, desto schlechter schnitten die Schimpansen bei der einfachsten der drei Aufgaben ab. Bei der schwersten Aufgabe hingegen verbesserte sich ihre Leistung durch die Zuschauer, wie Lin und ihre Kollegen herausgefunden haben.
Interessant jedoch: Dieser Zuschauer-Effekt zeigte sich nur dann, wenn die Schimpansen die beobachtenden Menschen kannten. Waren es hingegen Fremde, spielte es keine Rolle, wie viele Personen ihnen zuschauten. „Da Schimpansen ihnen bekannte und unbekannte Menschen unterscheiden können, erscheint es nur natürlich, dass sie sich stärker durch die Beurteilung der vertrauten Personen beeinflussen lassen“, erklären Lin und ihre Kollegen. Bei uns Menschen ist dies schließlich ähnlich.
Evolutionäre Grundlage älter als gedacht?
Welche genauen Mechanismen hinter den publikumsabhängigen Veränderungen in Leistung und Verhalten stehen, ist immer noch unklar – bei Schimpansen genauso wie bei Menschen. Aber die neuen Erkenntnisse lassen nun vermuten, dass die evolutionäre Wurzel dieser Verhaltensweise tiefer reichen könnte als gedacht. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Art und Weise, wie sehr sich Menschen für Beobachter interessieren, möglicherweise nicht ganz so spezifisch für unsere Spezies ist“, sagt Seniorautor Shinya Yamamoto.
„Wenn Schimpansen ihren Zuschauern ebenfalls besondere Aufmerksamkeit schenken, während sie ihre Aufgaben erfüllen, liegt es nahe, dass sich diese auf das Publikum bezogenen Eigenschaften entwickelt haben könnten, bevor sich die auf Reputation basierenden Gesellschaften in der Abstammungslinie der Menschenaffen entwickelten“, so Yamamoto weiter. (iScience, 2024; doi: 10.1016/j.isci.2024.111191)
Quelle: Cell Press