Die Atomenergie ist weltweit eher auf dem Rückzug. Das zeigt der gestern vom Bundesumweltministerium veröffentliche „Welt-Statusbericht Atomindustrie 2009“. Demnach gehen
weltweit mehr alte Atomkraftwerke vom Netz als neue in Betrieb genommen werden. Zudem reichten verfügbare Ressourcen, Ingenieurleistungen und Kapital zurzeit nicht aus, um den Abwärtstrend aufzuhalten.
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Passend zur anhaltenden Diskussion um das geplante Endlager im niedersächsichen Gorleben hat das Bundesumweltmninisterium jetzt die Studie „Welt-Statusbericht Atomindustrie 2009 unter besonderer Berücksichtigung wirtschaftlicher Fragen“ vorgestellt. In ihr haben die Autoren unter der Projektleitung von Mycle Schneider, Paris, die wesentlichen quantitativen und qualitativen Fakten hinsichtlich der heute weltweit betriebenen, in Bau und in Planung befindlichen Atomkraftwerke zusammengetragen und die Wirtschaftlichkeit früherer und heutiger Atomkraftwerke beurteilt. Bei Redaktionsschluss des Berichts am 1. August 2009 gab es weltweit 435 betriebene Reaktoren, neun weniger als noch 2002.
Bauvorhaben stagnieren, Anzahl sinkt
Atomkraft macht ungefähr 5,5 Prozent der weltweit verbrauchten kommerziellen Primärenergie und nur etwa zwei Prozent der weltweit genutzten Endenergie aus – der Trend weist seit mehreren Jahren kontinuierlich nach unten. Die Autoren der Studie stellen fest, dass auch die Anzahl der Atomkraftwerke in den nächsten Jahrzehnten weltweit abnehmen wird. Die Gesamtleistung der Atomkraftwerke wird zwischen 2015 und 2025 gegenüber der heutigen Leistung voraussichtlich sinken.
Zwar listet die Internationale Atomenergie-Organisation 52 Reaktoren als “in Bau“ befindlich auf. Dreizehn dieser Baustellen werden dort allerdings bereits seit über 20 Jahren geführt. Mindestens die Hälfte (26) aller Projekte verzeichnet zumeist erhebliche Verzögerungen. Zum Vergleich: auf der Höhe der Expansionsphase der Atomindustrie im Jahr 1979 waren 233 Reaktoren gleichzeitig im Bau. Auf dem Territorium der 27 heutigen EU-Mitgliedsstaaten wurden im Jahre 1989 noch 177 Atomreaktoren betrieben, im August 2009 waren es noch 144 Reaktoren.
Mangel an Ressourcen und Fachkräften
Auch potentielle Newcomer im Kreis der Atomenergiestaaten werden den Abwärtstrend der Atomenergie nicht umkehren können, so die Autoren des Berichts. Diese Staaten könnten in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht die erforderlichen technischen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für ein ziviles Atomprogramm schaffen. In den meisten dieser Staaten fehle außerdem ein Stromnetz, das die Produktion eines größeren Reaktors überhaupt aufnehmen und verteilen könnte.
Darüber hinaus befürchten die Autoren in praktisch allen Staaten einen erheblichen Mangel an qualifiziertem Fachpersonal. Selbst in Frankreich, dem Land mit der wohl größten atomtechnischen Kompetenzbasis, bestehe ein besorgniserregendes Defizit. Dort stehen gegenwärtig 300 Absolventen atomtechnischer Studiengänge einem Bedarf von 1.200-1.500 gegenüber. Neben dem Personal reichten auch die Industriekapazitäten nicht aus. Nur ein einziges Unternehmen auf der Welt, Japan Steel Works, könne zum Beispiel die Stahlgussteile für Reaktordruckbehälter des Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) herstellen.
Als Folge werden die aktuellen und geplanten Bauvorhaben der Atomindustrie immer teurer. Der sogenannte EPR (European Pressurized Water Reactor), der als Flagschiff des weltgrößten Reaktorherstellers AREVA NP derzeit in Olkiluoto in Finnland gebaut wird, liegt derzeit mindestens 55 Prozent über dem Kostenplan.
Keine Rennaissance
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel: „Die von den Propagandisten der Atomenergie immer wieder behauptete Renaissance der Atomenergie findet nicht statt, es gibt allenfalls eine Renaissance der Ankündigungen. Die Untersuchung zeigt: weltweit gehen mehr alte Atomkraftwerke vom Netz als neue in Betrieb genommen werden. Verfügbare Ressourcen, Ingenieurleistungen und Kapital reichen nicht einmal aus, den Abwärtstrend aufzuhalten, geschweige denn, die Zahl der Reaktoren zu vergrößern. Alles spricht dafür, aus dieser Technologie auszusteigen und gleichzeitig die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz auszubauen, denn das hat Zukunft.“
(BMU, 28.08.2009 – NPO)