Keine gute Alternative: Kleine Atomreaktoren gelten als klimafreundliche Ergänzung zu erneuerbaren Energien – zumindest bei den Befürwortern der Small Modular Reactors (SMR). Doch nun enthüllt eine Studie, dass diese Kleinreaktoren bezogen auf ihre Leistung bis zu 30-mal mehr Atommüll produzieren als gängige Atomkraftwerke – und diese nuklearen Abfälle sind noch dazu stärker radioaktiv. Der zurzeit boomende SMR-Bau könnte damit das Problem der radioaktiven Entsorgung noch weiter verschärfen.
Die Klimakrise, der Konflikt mit Russland und der noch mangelnde Ausbau erneuerbarer Energien haben der Atomkraft neue Attraktivität verliehen: Obwohl das Problem der Endlagerung und sicheren Entsorgung radioaktiver Abfälle nicht geklärt ist, setzen einige Länder auf eine neue Form von Atomreaktoren, die sogenannte Small Modular Reactors (SMR). Diese Anlagen erzeugen weniger als 300 Megawatt Strom, enthalten weniger Kernbrennstoff und nutzen teilweise neuartige Kühlmethoden mit Gasen oder geschmolzenen Salzen statt Wasser.
Boom der Kleinreaktoren
„Die Zahl der Unternehmen, die SMR-Anlagen verschiedener Bauart anbieten, hat sich drastisch erhöht“, erklären Lindsay Krall von der Standford University und ihre Kollegen. „Die Entwickler versprechen, dass diese Technologien sicherer, kostengünstiger und sparsamer sind als die gängigen Atomkraftwerke im Gigawattmaßstab.“ Noch existieren die meisten der rund 70 verschiedenen Bautypen solcher Klein-Reaktoren nur auf dem Papier. Nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Agentur IAEA sind aber weltweit mehr als 80 SMR-Anlagen in Planung oder im Bau.
Auf den ersten Blick scheinen die Mini-Reaktoren tatsächlich einige Vorteile zu haben: Sie werden aus vorgefertigten Bauteilen montiert und lassen sich daher schneller und billiger aufbauen. Zudem benötigen sie weniger Kernbrennstoff und laufen länger mit einer Ladung: Bei gängigen Großreaktoren müssen die Brennstäbe nach ein bis zwei Jahren ausgetauscht werden, in SMRs nur alle drei bis sieben Jahren, manche Bauarten sollen sogar 30 Jahre ohne Brennstoffwechsel auskommen.
Drei SMR-Bautypen im Test
Aber sieht es mit dem anfallenden Atommüll aus? „Bemerkenswert wenige Studien haben sich mit dem Management und der Entsorgung von radioaktiven Abfallströmen solcher Kleinreaktoren befasst“, sagt Krall. Das haben sie und ihre Team nun nachgeholt. Dafür haben sie für drei Typen von kleinen Atomreaktoren untersucht, wie viel verbrauchter Kernbrennstoff entsteht, wie viel kontaminiertes Material bei Rückbau und Austausch von Bauteilen anfällt und welche Radionuklide produziert werden.
Als Test-Modelle wählten die Forschenden einen integrierten Druckwasserreaktor von NuScale mit 160 Megawatt Leistung, den mit geschmolzenem Fluoridsalzen gekühlten IMSR-Reaktor von Terrestrial Energy mit 400 Megawatt und den Natrium-gekühlten 4S-Reaktor von Toshiba mit 30 Megawatt. Die Parameter dieser SMR-Anlagen verglich das Team mit denen eines klassischen Druckwasser-Atomreaktors von 1.100 Megawatt Leistung.
Mehr Neutronenstrahlung und mehr kontaminiertes Material
Der erste Faktor ist das radioaktive Material, das beim Betrieb der SMR-Anlagen durch die aus dem Kernbrennstoff freigesetzten Neutronen aktiviert wird – es entstehen Isotope, die Stahl, Beton und Co radioaktiv machen. „Je mehr Neutronen austreten, desto höher ist die durch diese Aktivierung verursachte Radioaktivität“, erklärt Kralls Kollege Rodney Ewing.
Bedingt durch ihre Bauart ist diese Neutronen-Leckage bei den SMR-Klein-Reaktoren höher als bei gängigen Atomkraftwerken, wie die Forschenden ermittelten. „Wir haben festgestellt, dass die Small Modular Reactors mindestens neunmal mehr neutronenaktivierten Stahl erzeugen als konventionelle Atomkraftwerke“, berichtet Ewing. Dieser aktivierte Stahl enthält dann radioaktive Isotope, die mehrere tausend Jahre lang strahlen können – und die in ein Endlager müssen.
Exotische Kühlmittel erzeugen exotischen Atommüll
Ein weiterer Punkt sind hochradioaktive Abfälle in Form von ausgebrannten Kernbrennstäben und Kühlmitteln. Den Analysen zufolge erzeugen die modularen Kleinreaktoren bezogen auf die produzierte Energie bis zu 5,5-mal mehr verbrauchten Kernbrennstoff als ein großer Atomreaktor. Einige Bautypen verwenden zudem chemisch exotische Brennstoffmischungen und Kühlmittel, aus denen dann schwer zu entsorgende Abfälle werden.
„SMRs, die mit geschmolzenen Salzen oder Natrium gekühlt werden, nutzen stark korrosive und entflammbare Brennstoffe, die durch die Strahlung hochgradig radioaktiv werden“, erklären die Forschenden. So könnte der kompakte 30-Megawatt-Kleinreaktor von Toshiba rund 115 Kubikmeter kontaminiertes Natrium-Kühlmittel pro Gigawatt thermischer Leistung produzieren, das dann speziell behandelt, konditioniert und entsorgt werden muss.
Kleinreaktoren mit geschmolzenen Salzen verwenden zudem Graphit als Neutronen-Modulator und Reflektor, das bis zu 80 Prozent des Reaktorkerns ausfüllen kann. „Weil sich dieses Graphit unter ständiger Bestrahlung ausdehnt und bricht, ist seine Lebensdauer begrenzt“, so das Team. Das kontaminierte Graphit muss daher ausgetauscht und entsorgt werden. Der 400-Megawatt-IMSR von Terrestrial Energies wird dadurch 13 Kubikmeter radioaktives Graphit pro Gigawatt thermischer Leistung erzeugen.
Nicht mit gängiger Entsorgung kompatibel
Problematisch ist auch die Zusammensetzung des Atommülls der modularen Atomreaktoren: Alle drei untersuchten SMR-Typen produzieren radioaktive Abfälle, in denen hochradioaktive Nuklide deutlich höher konzentriert sind als bei gängigen Atomkraftwerken. Während bei diesen in den zu entsorgenden Abfällen im Schnitt 1,3 Gewichtsprozent Uran-235 und Plutonium enthalten sind, sind es bei dem NuScale-Kleinreaktor 2,3 Prozent, beim IMSR drei Gewichtsprozent und beim natriumgekühlten Toshiba-Reaktor sogar 17 Gewichtsprozent.
Das aber bedeutet: Diese radioaktiven Abfälle könnten in gängigen Lagerbehältern wie den Castoren eine kritische Masse erreichen – es droht ein Wiederaufflammen der atomaren Kettenreaktion. „Daher müssen für diese SMR-Abfälle neue Ansätze für das Behälter-Design und die Beladung entwickelt werden“, schreiben Krall und ihre Kollegen. „Dies wird signifikante Kosten mit sich bringen.“ Mit bisherigen Entsorgungstechniken und Endlager-Konzepten seien diese Kleinreaktoren daher nicht kompatibel.
Bis zu 30-fach höheres Atommüll-Volumen
Nach Ansicht des Forschungsteams demonstrieren diese Ergebnisse, dass die kleinen, modularen Atomreaktoren in puncto Atommüll alles andere als ein Fortschritt sind. „Unsere Resultate zeigen, dass die meisten SMR-Designs das Volumen nuklearer Abfälle um das zwei- bis 30-Fache erhöhen werden“, sagt Krall. „Dies steht in starkem Kontrast zu den angeblichen Vorteilen bei den Kosten und der Entsorgung, die Befürworter für diese neuen atomaren Technologien anführen.“
Statt günstigem Strom und weniger atomarem Abfall könnten die Small Modular Reactors demnach mehr Kosten und mehr Atommüll mit sich bringen. „Eigentlich sollten auch nicht wir diejenigen sein, die eine solche Studie machen: Die Verkäufer und diejenigen, die solche Reaktor-Bautypen entwickeln und dafür Fördergelder einstreichen, sollten sich mit den atomaren Abfällen befassen und ihre Ergebnisse öffentlich zugänglich machen“, sagt Ewing. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2022; doi: 10.1073/pnas.2111833119)
Quelle: Stanford University, PNAS