Radioaktive Lecks vorprogrammiert? In deutschen Atomkraftwerken und Zwischenlagern sind mehr als 2.000 Fälle von verrosteten oder anderweitig beschädigten Atommüll-Behältern bekannt. Das hat eine Nachfrage des NDR bei den zuständigen Behörden ergeben. Die zuletzt im Kernkraftwerk Brunsbüttel entdeckten Rostfässer mit Atommüll bilden demnach nur einen kleinen Teil der problematischen Altlasten.
Das Problem ist nicht neu: Weil man nicht weiß, wohin mit dem Atommüll, wurden und werden Behälter mit radioaktiven Abfällen oft provisorisch gelagert. Teilweise stapeln sich Fässer mit schwach und mittelradioaktivem Inhalt dicht an dicht auf dem Gelände von Kernkraftwerken oder in Zwischenlagern. Vor allem bei altem Atommüll ist die genaue Art und Zusammensetzung des strahlenden Mülls oft unklar, denn die Einlagerung radioaktiver Abfälle wurde in der Vergangenheit oft falsch oder nur unzureichend dokumentiert.
Im Laufe der Zeit können Feuchtigkeit die Fässer rosten lassen, gleichzeitig kommt es oft zu chemischen Prozessen innerhalb der Fässer. Dort, wo die Abfallbehälter dicht an dicht oder übereinander gestapelt sind, ist die Korrosionsgefahr höher. Doch gerade dort erschwert die Lagerung eine regelmäßige Überprüfung, in welchem Zustand sich die Behälter befinden. Werden Schäden entdeckt, müssen sie den zuständigen Behörden gemeldet werden – eigentlich.
Verrottende Behälter an 17 Standorten
Mitarbeiter des NDR-Magazins „Panorama 3“ haben nun bei den Aufsichtsbehörden aller 16 Bundesländer nachgefragt, wie der aktuelle Zustand der deutschen Atommüll-Behälter ist. Mit alarmierenden Ergebnissen: Demnach gibt es deutschlandweit deutlich mehr Fälle beschädigter Atommüllfässer als bislang angenommen. Fast 2.000 entdeckte Fälle von verrosteten oder anderweitig beschädigten Behältern mit Atommüll verzeichnen die Behörden in den vergangenen Jahren an deutschen Kernkraftwerken sowie in Zwischenlagern und Landessammelstellen.
Demnach fanden sich bundesweit an mindestens 17 Standorten leicht oder schwer beschädigte Fässer, darunter in der niedersächsischen Landessammelstelle in Leese, in der hessischen Landessammelstelle in Ebsdorfergrund und am Kernkraftwerk Biblis. Besonders problematisch sei die Situation im größten oberirdischen Zwischenlager in Karlsruhe. Hier fanden Prüfer bei Kontrollen mehr als 1.700 beschädigte Behälter mit radioaktivem Müll.
Hohe Dunkelziffer
Experten gehen davon aus, dass die Anzahl der beschädigten Fässer und Container mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen noch weitaus höher sein könnte. „Ich erwarte, dass man bei genauerer Inspektion in verschiedenen Lagern weitere Korrosionen findet“, sagt Michael Sailer, Atomexperte des Öko-Instituts gegenüber „Panorama 3“. „Aus meiner Sicht sehen wir bislang nur die Spitze des Eisbergs und wissen nicht, wie groß der Eisberg unter Wasser ist.“
Das Problem: Obwohl das Problem der beschädigten Atommüllfässer seit Jahren bekannt ist, hat die Bundesregierung bis heute keine umfassende Übersicht über den Zustand der schwach- und mittelradioaktiven Abfälle in Deutschland. Denn die Meldungen sind auf die Behörden der Bundesländer verteilt. Eine Angabe, wie viele der rund 85.000 Behälter mit radioaktiven Abfällen in Deutschland weniger gutem Zustand sind, fehlt daher.
Situation wird sich noch verschärfen
„Wir können noch nicht sagen, wann wir alle Daten zusammen haben“, so Jochen Flasbarth, verantwortlicher Staatssekretär im Bundesumweltministerium. „Es geht darum, dass die Bundesländer ihre Verantwortung wahrnehmen müssen für den Atommüll an ihren Standorten. Der Bund trägt die Daten zusammen, wir sind hier auf die Zuarbeit der Länder angewiesen.“
Experten erwarten für die Zukunft eine weitere Verschärfung des Problems, da sich die Eröffnung des für schwach- und mittelradioaktive Atomabfälle vorgesehenen Endlagers Schacht Konrad in Niedersachsen immer weiter verzögert und vor 2022 nicht erfolgen wird.
Viele der oft vor Jahrzehnten befüllten Fässer sind nur für eine Zwischenlagerung von wenigen Jahren vorgesehen. „Wenn sie heute feststellen, es ist wenig oder keine Korrosion an einem Fass außen, dann heißt es nicht, dass das auch in fünf Jahren noch so ist“, so Atomexperte Michael Sailer. „Weil wir noch kein Endlager haben, bleiben die Fässer noch mindestens sechs bis acht Jahre stehen. Da wird noch viel chemische Korrosion passieren.“
Weitere Informationen auf der Seite des NDR-Magazins Panorama 3
(NDR, 18.11.2014 – NPO)