Hände weg: Wenn Klimaschutz funktionieren soll, muss die Menschheit einen Teil der weltweit vorhandenen Erdöl- und Gasvorkommen ungenutzt im Boden lassen. Aber welche? Für die Erdöl-Reserven zeigt dies nun ein neuer Atlas des „unverbrennbaren Öls“. In ihm haben Forscher die vorhandenen Ölreserven danach eingestuft, wie stark ihr Abbau die Natur und die in diesen Gebieten lebende Bevölkerung schädigen würde. Außerdem ermitteln sie, wie viel Erdöl wir überhaupt noch verbrennen dürfen.
Um den Klimawandel zu stoppen oder zumindest zu begrenzen, darf die Menschheit nur noch eine begrenzte Mengen an Treibhausgasen ausstoßen. Dem aktuellen Weltklimabericht zufolge liegt dieses CO2-Budget für eine 67-prozentige Chance des Zwei-Grad-Klimaziels bei 1.150 Gigatonnen CO2, für das 1,5-Grad-Ziel bei 400 Gigatonnen. Das bedeutet aber auch, dass die Menschheit einen Großteil aller fossilen Brennstoffe wie Erdöl, Kohle oder Erdgas nicht mehr abbauen und nutzen darf.
Wo muss der Ölhahn zu bleiben?
Konkret bedeutet dies: „Für das 1,5-Gradziel müssten 97 Prozent der vorhandenen Kohlevorkommen, 81 Prozent der konventionellen Erdgasvorkommen und 71 Prozent der konventionellen Erdöllagerstätten unverbrannt bleiben“, berichten Lorenzo Pellegrini von der Erasmus Universität Rotterdam und seine Kollegen. Denn schon diese bereits erkundeten fossilen Reserven entsprechen Emissionen von fast 11.000 Gigatonnen CO2. Beim Erdöl müssten für das 1,5-Grad-Ziel rund 1.524 Gigabarrel an konventionellen Vorkommen unverbrannt bleiben.
Doch welche dieser Lagerstätten dürfen noch ausgebeutet werden und welche nicht? „Die Zuteilung der noch zum Abbau verbleibenden fossilen Ressourcen ist ein moralisch und politisch kontroverses Thema“, konstatieren die Forscher. Denn die Länder mit reichen Öl- oder Gasvorkommen werden ihre Ressourcen nicht freiwillig ungenutzt lassen. Daher seien objektive Kriterien, die Prioritäten für den noch zulässigen Abbau und die Abbaumengen vorgeben, nötig, so das Team. Dies könnte dann in ein internationales System münden, das Kompensationen regelt.
Ökologische und soziale Kriterien
Einen ersten Schritt hin zu einem solchen System haben nun Pellegrini und sein Team gemacht. Sie haben eine erste Einstufung der globalen Ölvorkommen nach mehreren Kriterien vorgenommen. Dafür ermittelten sie zunächst, wie viel Erdöl die bekannten Lagerstätten umfassen. Das Ergebnis: Weltweit umfassen die konventionellen Erdölvorkommen 2.276 Gigabarrel Öl. Davon liegen rund 28 Prozent im Mittleren Osten, 18 Prozent in den USA und 15 Prozent in Russland und früheren Sowjetstaaten. Weitere kleinere Vorkommen liegen in Afrika, vor der Küste von Brasilien und in der Nordsee.
Als nächstes stuften die Forscher diese Erdöl-Vorkommen nach biologischen nun sozialen Kriterien ein. Als Ausschlusszonen, in denen kein weiterer Abbau stattfinden sollte, definierten sie zum einen Gebiete, in denen Naturschutzgebiete oder Hotspots der Artenvielfalt liegen. Auch Areale mit einzigartigen endemischen Spezies fielen darunter. Zum anderen stufte das Team auch Lagerstätten als „nicht abbaubar“ ein, die unter dicht von Menschen besiedelten oder von indigenen, weitgehend isolierte lebenden Völkern bewohnten Gebieten liegen.
Weltkarte zeigt die Ausschlusszonen
Das Resultat ist eine Weltkarte, die zeigt, welche Erdöl-Vorkommen noch ausgebeutet werden dürfen und welche nicht. Demnach liegen rund 609 Gigabarrel förderbaren Erdöls diesen Kriterien zufolge in einer der Ausschlusszonen – sie dürften nicht mehr gefördert werden. Insgesamt umfassen die Ausschlusszonen gut 29 Millionen Quadratkilometer. Davon sind rund 6,5 Prozent wegen dichter Besiedlung oder indigenen Völkern gesperrt, der Rest aus Gründen des Natur- und Artenschutzes, wie Pellegrini und seine Kollegen berichten.
Die klassischen Erdöl-Förderregionen sind davon in unterschiedlichem Maße betroffen: „Zwar ist der Mittlere Osten mit rund 169 Gigabarrel die Region mit den meisten für die Nichtnutzung priorisierten konventionellen Ölreserven“, schreibt das Team. Aber diese Menge macht nur 26 Prozent der dortigen Vorkommen aus. Anders ist dies in Asien außerhalb Indiens und Chinas: „Dort sind rund 78 Prozent der Ressourcen als nicht mehr verbrennbar eingestuft“, berichten die Forscher. Denn von den dort ohnehin spärlichen Vorkommen wäre der größte Teil gesperrt. In China und Indien sind es rund 25 Prozent.
Auch die Nordsee ist betroffen
In Europa liegt der Anteil der gesperrten Vorkommen bei 16,6 Prozent der insgesamt rund 77,7 Gigabarrel umfassenden konventionellen Erdöl-Ressourcen, wie die Kartierung ergab. Auch weite Teile der Nordsee und der größte Teil Südosteuropas und Skandinaviens liegen aus ökologischen Gründen in den von Pellegrini und seinem Team definierten Ausschlusszonen. Wegen zu dichter Bevölkerung sind zudem der größte Teil Großbritanniens sowie der Nordwesten Frankreichs und Mitteleuropas gesperrt.
In den USA und Afrika haben die Forscher jeweils rund 27 Prozent der Erdölvorkommen als nicht mehr verbrennbar eingestuft, in Südamerika, Australien und Ozeanien sind es jeweils rund 36 Prozent. Auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion liegen rund 13 Prozent der Erdöl-Vorkommen in Ausschlusszonen, wie das Forschungsteam ermittelte.
Hilfe auch für Investoren
Nach Ansicht von Pellegrini und seinen Kollegen bietet ihr Atlas eine erste Grundlage, um die künftige Entnahme von fossilen Brennstoffen zu regeln. „Gleichzeitig hilft dies Energiekonzernen, Regierungen und allgemein Investoren, das Risiko für gestrandete Anlagen zu reduzieren“, erklären sie. „Denn die Kartierung hilft ihnen, die fossilen Ressourcen zu identifizieren, die mit sozio-ökologisch sensitiven Arealen überlappen.“ Das verringert das Risiko, durch künftige Klimaschutzregelungen oder Umweltproteste Verluste zu machen.
Das Team sieht in ihrem Atlas einen Anfang hin zu diesem Prozess. „Die gleiche Methodik könnte nun auch eingesetzt werden, um Weltkarten für nicht mehr zu verbrennende Kohle- und Erdgasvorkommen zu erstellen“, schreiben die Forscher.
Sie weisen zu dem darauf hin, dass ihre Kartierung bewusst keine unkonventionellen, beispielsweise durch Fracking erschlossenen Vorkommen umfasst: „Weil diese weit höhere Förderkosten haben, weniger effizient sind und mehr Umweltschäden verursachen, sollten die rund 1.518 Gigabarrel an unkonventionellen Erdöl-Ressourcen fast gar nicht mehr genutzt werden“, so Pellegrini und seine Kollegen. (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/s41467-024-46340-6)
Quelle: Nature Communications, Universidad de Barcelona