Energiemix: Forschende haben untersucht, wie der knappe Strom aus erneuerbaren Energien am sinnvollsten und effizientesten eingesetzt werden kann. Demnach ist die direkte Nutzung von „grünem“ Strom effizienter und für mehr Bereiche geeignet als die Verwendung des Stroms für die Wasserstoffgewinnung und eFuels. Für die Energiewende in Europa seien aber beide Strategien unverzichtbar, so das Team. Die Politik müsse sie bestmöglich einsetzen, damit sie sich gegenseitig gut ergänzen.
Die Europäische Union (EU) hat sich das bindende Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein. Dafür wird das europäische Energiesystem bereits auf erneuerbare Energieträger umgerüstet. Eine vollständige Abkehr von fossilen Energien ist grundsätzlich machbar. „Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass unser Energiesystem zu geringen Kosten und mit geringer Umweltbelastung auf erneuerbare Energiequellen wie Wind und Sonne umgestellt werden kann“, sagt Felix Schreyer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
Wie kann erneuerbare Energie effizient genutzt werden?
„Die nächste Frage ist jedoch, wie dieser erneuerbare Strom genutzt werden kann, um fossile Brennstoffe in den Bereichen Gebäude, Industrie und Verkehr zu ersetzen”, so Schreyer. Das Problem ist demnach nicht nur, genügend erneuerbare Energie zu erzeugen, sondern sie auch zu speichern und möglichst effizient zu nutzen, damit die Energiewende schnell und rechtzeitig gelingt.
Eine der wichtigsten Strategien ist dabei die direkte Elektrifizierung, also den Strom aus erneuerbaren Energien als Antrieb für Elektroautos und Co zu nutzen. Ein anderer Ansatz ist die indirekte Stromnutzung für „grünen“ Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe (eFuels), die dann beispielsweise als Antrieb für Fahrzeuge dienen. Welche dieser Strategien die bessere und günstigere ist, darüber streitet die EU-Politik derzeit noch bei vielen Anwendungsgebieten.
Aktuelle Daten und künftige Entwicklung
Ein Forschungsteam um Schreyer hat nun aktuell und detailliert analysiert, wie direkte Elektrifizierung und Wasserstoff zusammen das Ziel der Klimaneutralität in der EU vorantreiben können. Mithilfe eines Rechenmodells untersuchten die Wissenschaftler dafür, wie die beiden Energieträger sinnvoll kombiniert werden können, um die Energiewende in Europa bestmöglich zu beschleunigen.
Dabei berücksichtigten sie den aktuellen Stand der Technik, die verfügbare Zeit sowie verschiedene Annahmen und Szenarien zur künftigen Entwicklung des europäischen Energiesystems. Dazu zählt auch, dass sich Energiekosten und -steuern ändern könnten.
Beide Energiequellen werden benötigt
Über alle Zukunftsszenarien hinweg kamen die Forschenden zu dem Ergebnis, dass für Autos, viele Heizungen und die Industrie vorwiegend die direkte Nutzung erneuerbaren Stroms die beste Option ist. Eine indirekte Nutzung des aus solchem Strom hergestellten Wasserstoffs und eFuels ist dagegen vor allem für die Luftfahrt, die Schifffahrt, die chemische Industrie und als Stromspeicher nötig. Diese Sektoren seien wegen der benötigten Infrastruktur nur schwer zu elektrifizieren, so das Team.
In manchen Fällen sei jedoch der Einsatz beider Energiequellen denkbar, erklären Schreyer und seine Kollegen. Dazu zählen LKWs sowie Heizungen und die Industriezweige, die mit sehr hohen Temperaturen arbeiten. In diesen Sektoren seien Elektrifizierung und Wasserstoff fast gleichwertig. Sie machen aber nur etwa 15 Prozent der gesamten benötigten Energie aus. In allen anderen Anwendungsgebieten sei hingegen je einer der beiden Antriebe klar von Vorteil. Elektrifizierung und Wasserstoff ergänzen sich demnach weitgehend.
Strom ist breiter und effizienter nutzbar als Wasserstoff
Doch laut der Analyse hat die Elektrifizierung insgesamt ein höheres Potenzial, die wasserstoffbasierte Energie hingegen einen engeren Einsatzbereich als in früheren Studien angenommen. „Unsere Auswertung zeigt, dass die direkte Nutzung von Strom, beispielsweise über Elektroautos und Wärmepumpen, für eine Vielzahl von Sektoren von entscheidender Bedeutung ist, während die Umwandlung von Strom in Wasserstoff nur für wenige Anwendungen infrage kommt,” erklärt Schreyer.
„Der Ausbau der erneuerbaren Stromversorgung und die Umstellung auf elektrische Technologien, wo immer möglich, ist in den meisten Sektoren bei weitem der schnellste und kostengünstigste Weg, CO2-Emissionen zu vermeiden“, ergänzt Co-Autor Gunnar Luderer vom PIK. Der Grund: Elektrotechnologien sind den Forschenden zufolge zunehmend verfügbar und nutzen den Strom bereits sehr effizient. Die Umstellung auf Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe sowie deren Verbrennung sei hingegen mit erheblichen Energieverlusten verbunden und damit deutlich weniger effizient.
Woher kommt die Energie der Zukunft?
Je nachdem, welchen Weg die EU bei der Energiewende nun einschlägt und wie stark sie dabei auf Wasserstoff setzt, steigt ihr Strombedarf bis zum Jahr 2050 um 80 bis 160 Prozent, so die Analyse. Das bedeutet, dass bis dahin etwa doppelt so viel Strom wie heute produziert werden muss, wie die Wissenschaftler betonen.
„Wir gehen daher davon aus, dass der Anteil des Stroms an der Endenergie von derzeit 20 Prozent auf 42 bis 60 Prozent steigen wird“, sagt Luderer. Wasserstoff werde bis zum Jahr 2050 hingegen nur einen Anteil von neun bis 26 Prozent ausmachen. Die restliche Energie werde weiterhin durch Biomasse und Fernwärme gewonnen, heißt es in der Studie.
Empfehlungen an die Politik
Damit die Transformation des EU-Energiemarktes am kostengünstigsten gelingt, müsse die Politik nun die entsprechenden Weichen setzen, schließen Schreyer und seine Kollegen. Dazu gehöre, die Elektrifizierung und den Wasserstoff jeweils nur dort vorzuziehen und einzusetzen, wo diese Energiequellen am sinnvollsten sind. Dafür müssten jedoch auch die erneuerbaren Energien und Wasserstoff-Lieferketten weiter ausgebaut werden, um genug Strom und Wasserstoff zur Verfügung zu haben. (One Earth, 2024; doi: 10.1016/j.oneear.2024.01.015)
Quelle: Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)