Schnelle Zwischenlösung: Großbritannien macht vor, wie rapide Fortschritte in Klimaschutz und Kohlenausstieg zu schaffen sind. Allein durch die vermehrte Auslastung seiner Erdgas-Kraftwerke hat das Land seine CO2-Emissionen im Jahr 2016 um sechs Prozent gesenkt. Erreicht wurde dies vor allem durch eine CO2-Bepreisung, die den Umstieg von Kohle zu Gas für Energieversorger und Stromkunden lohnend machte. Auch in Deutschland wäre dies problemlos machbar, so die Forscher im Fachmagazin „Nature Energy“.
Nur wenn die globalen CO2-Emissionen schnell und stark gesenkt werden, sind die Klimaschutzziele von Paris überhaupt noch erreichbar – darin sind sich Forscher inzwischen einig. Doch die meisten Länder – auch Deutschland – hinken ihren eigenen Klimaschutz-Versprechungen weit hinterher. Als Folge steigen die weltweiten CO2-Emissionen seit 2017 wieder an.
400 Kilogramm CO2 pro Kopf weniger
Ein hoffnungsvolles Beispiel gibt es jedoch: Großbritannien macht vor, wie man auf einfache und billige Weise schnell Emissionen einsparen kann. Denn innerhalb von nur einem Jahr – von 2015 auf 2016 – ist der CO2-Ausstoß dieses Landes um sechs Prozent gesunken. 400 Kilogramm CO2 pro Einwohner wurden dadurch eingespart – so viel wie nie zuvor innerhalb eines Jahres, wie Grant Wilson von der University of Sheffield und Iain Staffell vom Imperial College London berichten.
„Angesichts der Langlebigkeit der Energiesysteme und ihrer Trägheit ist diese Veränderungsrate bemerkenswert“, konstatieren die Forscher. „Jede Möglichkeit, Emissionen innerhalb von Monaten statt Jahren so deutlich zu senken, verdient unsere Aufmerksamkeit.“
Gas statt Kohle
Das Spannende daran: Großbritannien hat diese CO2-Einsparungen ohne Zunahme der Kernenergie, der erneuerbaren Energien oder durch teure Umbauten seiner Energiesysteme erzielt. Stattdessen beruht dieser Effekt auf einer simplen Schwerpunktverschiebung in der Stromproduktion: Längst vorhandene, aber zuvor unausgelastete Gaskraftwerke wurden auf Volllast gefahren, wodurch alte, dreckige Kohlenkraftwerke überflüssig wurden und abgeschaltet werden konnten.
„Die Kombination dieses Brennstoff-Wechsels mit der Stilllegung von Kohlekraftwerken hat den Anteil der Kohle an der Stromerzeugung in nur vier Jahren um drei Viertel gesenkt“, berichten die Forscher. „Im Jahr 2016 lieferte Kohle dadurch nur noch zehn Prozent des Stroms in Großbritannien.“ Das Land hat seinen Kohleanteil in der Stromerzeugung dadurch mehr verringert als alle anderen Länder Europas zusammen.
CO2-Preis und politischer Wille entscheidend
Doch was ist das Erfolgsgeheimnis? Wie konnte ein so schneller Wechsel ohne Einbußen erreicht werden? Die Forscher nennen dafür vier Faktoren. „Die erste Voraussetzung ist, dass die Gaskraftwerke bereits gebaut sind und ungenutzte Kapazitäten besitzen“, erklären sie. Zum zweiten muss die Strom-Infrastruktur einen solchen Wechsel verkraften. Als Drittes sei der politische Wille entscheidend.
Das Wichtigste aber: „Die primäre Triebkraft hinter dem Umstieg von Kohle auf Gas war ein erhöhter CO2-Preis“, so Wilson und Staffell. Bereits 2013 führte die britische Regierung den sogenannten „Carbon Price Support“ (CPS) ein, der den Preis pro Tonne CO2 auf ein von ihnen bestimmtes Minimum festlegte – 2017 lag dieses bei 18 Euro pro Tonne CO2. Dieser Wert ist um mehr als das Dreifache höher als der in der restlichen EU geltende Preis. „Diese untere Grenze hat es ermöglicht, dass die Stromproduktion durch Gas seit 2016 genauso teuer oder sogar billiger geworden ist als die Kohle“, erklären die Forscher.
Für die Stromkunden machte sich der Umstieg nur wenig bemerkbar: Der Strompreis stieg im Jahr 2016 um 0,7 Pence pro Kilowattstunde, das entspricht fünf Prozent. „Angesichts einer Reduktion der Emissionen im Stromsektor um 25 Prozent in nur einem Jahr ist dies ein sehr geringer Anstieg“, so Wilson und Staffell.
Auch in Deutschland möglich
Der Umstieg von Kohle zu Gas könnte auch in anderen Ländern ohne große Einbußen funktionieren – vor allem auch in Deutschland, wie die Forscher betonen. „Die deutsche Versorgungsstruktur hat dort das Potenzial, ein signifikantes Maß an Brennstoffwechsel zu ermöglichen, sagen sie. Denn auch Deutschland besitze bereits gebaute, aber kaum genutzte Gaskraftwerke. „In den letzten Jahren wurden Gaskraftwerke sogar wieder eingemottet, nachdem sie unprofitabel waren.“
Nach Schätzungen der Forscher könnten in Deutschland zusätzliche 155 Terawattstunden Strom produziert werden, allein indem diese Gaskraftwerke zu 80 Prozent ausgelastet würden. „Das wäre ausreichend, um die Steinkohle komplett überflüssig zu machen und 40 Prozent der Braunkohle zu ersetzen“, so Wilson und Staffell. „Deutschlands Emissionen aus dem Stromsektor würden so um 62 Megatonnen CO2 pro Jahr sinken.“
Einen Haken hat das Ganze allerdings: Deutschland ist für seine Erdgasversorgung von Importen abhängig – das gilt allerdings auch für einen Großteil der Steinkohle, wie die Forscher betonen. „Deutschland hat eine faszinierende Interaktion von politischen Wirtschaftsinteressen, mit einer Braunkohle-Lobby, die auf die Versorgungssicherheit und Kostenargumente setzt, um die Energiewende zu bremsen“, sagen Staffell und Wilson.
Nur ein Zwischenschritt
Allerdings betonen die Forscher auch, dass der Umstieg auf Gas keine dauerhafte Lösung ist – es ist nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer Stromproduktion ohne fossile Brennstoffe. „Es ist aber ein wichtiger Schritt, um die Emissionen schnell und zu minimalen Kosten zu senken“, so Staffell. „Das gibt uns Zeit, die nötigen Kapazitäten in den erneuerbaren Energien aufzubauen, um die globalen Karbonemissionen dauerhaft zu senken.“
Weltweit könnte ein vorübergehender Umstieg von Kohle auf Gas nach Schätzungen der Wissenschaftler immerhin rund eine Gigatonne CO2 pro Jahr einsparen – das entspricht drei Prozent der globalen Emissionen. (Nature, Energy, 2018; doi: 10.1038/s41560-018-0109-0)
(University of Sheffield, 27.03.2018 – NPO)