Wer im Glashaus sitzt: Forschende haben ein polymerbasiertes Material entwickelt, das transparenter ist als Glas, Innenräume kühlt und sich wie ein Lotusblatt selbst reinigt. Möglich werden diese nützlichen Eigenschaften durch eine spezielle Nanostruktur des Materials: Sie besteht aus unzähligen winzigen Pyramiden. Dank ihrer besonderen optischen und thermischen Eigenschaften könnte die Polymer-Folie in Zukunft Glaskomponenten in Wänden und Dächern ersetzen.
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen – oder zumindest nicht allzu viel Komfort erwarten. Denn viel natürliches Licht in Gebäuden ist zwar erwünscht und Glasfassaden gelten als repräsentativ und modern. Doch herkömmliche Glasdächer und -wände bergen auch zahlreiche Probleme: Die Fassaden heizen sich schnell auf, wollen ständig geputzt werden und das einfallende Licht kann unangenehm blenden. Auch bereits bestehende Innovationen, wie selbstreinigende Oberflächen oder 3D-druckbare Fassadenelemente können die Probleme bisher nicht in Gänze lösen.
Millionen Mikro-Pyramiden als Sonnenschutz
Um die Lichtverhältnisse in Gebäuden mit Glasfassaden und -dächer komfortabler zu gestalten hat ein Forschungsteam um Gan Huang vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) nun auf Basis des Silikons Polydimethylsiloxan (PDSM) ein Material namens Polymer-based Micro-Photonic Multi-Functional Metamaterial (PMMM) entwickelt. Daraus lassen sich Folien von bis zu mehreren Quadratdezimeter Größe anfertigen. Diese können für bessere Stabilität etwa an verglasten Häuserfassaden geklebt werden.
Das Besondere an PMMM ist jedoch seine nanostruktuierte Oberfläche: Sie besteht aus mikroskopisch kleinen Pyramiden von rund zehn Mikrometer Größe, also etwa einem Zehntel des Durchmessers eines Haars. Diese Nanostruktur macht PMMM zu einem Metamaterial mit speziellen optischen und thermischen Eigenschaften: „Dieses Design integriert bei hoher Transparenz mehrere Funktionalitäten, einschließlich Lichtstreuung, Selbstreinigung und Strahlungskühlung“, berichten Huang und seine Kollegen.
Multifunktionales Material mit effizienter Selbstkühlung
Die Fähigkeiten der Metamaterial-Folie testeten die Forschenden anhand moderner Methoden im Labor sowie unter freiem Himmel: Um die kühlende Wirkung des Materials zu untersuchen, bestimmten sie die Temperatur in einer Kühlprüfkammer mit PMMM-Dach. Mittels Spektralphotometrie ermittelten sie außerdem die Lichtdurchlässigkeit und Reflexionseigenschaften der Folie.
Es zeigte sich: Das Material erreicht eine Kühlleistung von etwa 97 Watt pro Quadratmeter und war dadurch bis zu sechs Grad Celsius kälter als die Umgebung. Der Grund: Das in der Folie enthaltene Polydimethylsiloxan nimmt kaum Sonnenlicht auf und strahlt Wärme mit einer Wellenlänge von etwa acht bis 13 Mikrometer ab. Dies entspricht genau dem Infrarot-Transmissionsfenster der Erdatmosphäre – die ausgesendete Strahlung kann also problemlos die Atmosphäre durchdringen und entweichen. „Diese Eigenschaft ermöglicht eine passive Strahlungskühlung ohne jeglichen Stromverbrauch“, bemerkt Bryce Richards vom KIT und Seniorautor der Studie.
Transparenter als Glas
Zudem ist die neuartige PMMM-Folie transparenter als Glas: Während dieses etwa 91 Prozent des einfallenden Lichts durchlässt, erreichte das neue Material eine Transparenz von 95 Prozent. Der Grund: Von den Nano-Pyramiden reflektierte Sonnenstrahlen werden statt in den Himmel auf benachbarte Mikro-Pyramiden umgelenkt und durchdringen das Material somit trotzdem, wenn auch auf Umwegen. Das innovative Oberflächendesign des Materials streut das durchscheinende Licht außerdem stark – anders als Glas, das kaum streut.
„Wenn das Material in Dächern und Wänden verwendet wird, ermöglicht es so helle und gleichzeitig blendfreie sowie sichtgeschützte Innenräume für Arbeiten und Wohnen. In Gewächshäusern könnte die hohe Lichtdurchlässigkeit die Erträge steigern, weil die Effizienz der Photosynthese schätzungsweise neun Prozent höher ist als in Gewächshäusern mit Glasdächern”, sagt Huang.
Ein Dach, das sich selbst reinigt
Der PMMM-Film weist zudem Wasser ab, ähnlich wie es auch die Nanostrukturen auf der Oberfläche von Lotusblättern tun. Zum einen ist das Material inhärent wasserabweisend. Zum anderen verringert die pyramidenförmige Struktur der Folie die Kontaktfläche der Wassertröpfchen mit der Oberfläche, sodass sie fast darüber schweben und bereits bei geringer Neigung abrollen.
Das abperlende Wasser entfernt dann Schmutz und Staub von der Oberfläche. „Diese aktive Selbstreinigung der PMMM-Folie stellt einen bedeutenden Vorteil gegenüber herkömmlichen Oberflächen dar, was sie zu einer attraktiven Wahl für verschiedene Anwendungen macht, einschließlich Baumaterialien und andere Außenflächen, die eine einfache Wartung und Entfernung von Staubpartikeln erfordern“, so die Forschenden.
Nachhaltiges Baumaterial
Und noch einen Vorteil hat die Mikropyramiden-Folie laut Huang und seinen Kollegen: Sie ist nicht nur multifunktional und effizient, das Basismaterial Polydimethylsiloxan ist außerdem kostengünstig und nachhaltig. Das macht das Material auch für den großen Maßstab skalierbar und umweltfreundlich – ein großes Plus in Hinblick auf das Bestreben nach einer nachhaltigen Entwicklung beim Hausbau. „Unser neu entwickeltes Material hat das Potenzial, in verschiedenen Bereichen eingesetzt zu werden und leistet einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen und energieeffizienten Architektur“, so Richards.
„Das Material kann gleichzeitig für optimale Nutzung von Sonnenlicht in Innenräumen sorgen, passiv kühlen und die Abhängigkeit von Klimaanlagen reduzieren. Die Lösung lässt sich skalieren und nahtlos in Planungen für umweltfreundlichen Hausbau und Stadtentwicklung integrieren”, resümiert Huang. (Nature Communications 2024; doi: 10.1038/s41467-024-48150-2)
Quelle: Karlsruher Institut für Technologie