Schneller Weg zur Bombe? Der für künftige Kleinreaktoren erzeugte Uran-Brennstoff könnte zum globalen Sicherheitsproblem werden, warnen Forscher. Denn dieses sogenannte HALEU-Uran ist mit bis zu 20 Prozent Uran-235 angereichert – und das reicht aus, es waffenfähig zu machen, wie das Team in „Science“ berichtet. Aus der Brennstoffmenge eines einzigen Kleinreaktors könnte innerhalb von Tagen eine Atombombe konstruiert werden. Doch bisher gibt es für das HALEU-Uran keine entsprechenden Sicherheitsvorschriften.
Wie sich das radioaktive Element Uran nutzen lässt, hängt entscheidend von seiner Isotopen-Zusammensetzung ab. Denn das in der Natur dominierende Uran-238 ist nicht spaltbar und daher in seiner Reinform weder als Kernbrennstoff für Atomreaktoren noch für den Bau von Atomwaffen geeignet. Damit die nukleare Kettenreaktion in Gang kommt, muss das Uran einen Mindestanteil des spaltbaren Isotops Uran-235 enthalten. Für gängige Atomkraftwerke wird der Kernbrennstoff daher auf einen Anteil von drei bis fünf Prozent Uran-235 angereichert.
Damit ist der spaltbare Urananteil im gängigen Kernbrennstoff zwar groß genug, um die gewünschte langsame, kontrollierbare Kettenreaktion anzustoßen. Für eine explosive, exponentiell ablaufende Kettenreaktion reicht der Uran-235-Anteil jedoch nicht aus. „Dies hat es effektiv verhindert, dass Nationen oder Terroristen einfach kommerziellen Reaktor-Brennstoff kaufen, um Waffen zu bauen“, erklären Scott Kemp vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und seine Kollegen.
Atomare Kleinreaktoren benötigen mehr „Wumms“
Doch das könnte sich in naher Zukunft ändern. Denn neuartige Kleinreaktoren könnten bald die herkömmlichen Atomkraftwerke ablösen. Weltweit sind nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) bereits mehr als 80 solcher Small Modular Reactors (SMR) in Planung oder im Bau. Diese nuklearen Kleinreaktoren nutzen weniger, aber dafür höher angereicherten Kernbrennstoff, um Hitze und Strom zu erzeugen.
Genau das könnte jedoch zum Problem werden, warnen nun Kemp und seine Kollegen. Denn der für die SMR-Anlagen genutzte Kernbrennstoff, sogenanntes High Assay Low-enriched Uranium (HALEU), enthält zwischen zehn und 20 Prozent Uran-235. „Die meisten Entwickler von Kleinreaktoren favorisieren 19,75 Prozent Uran-235“, so die Forscher. Damit liege dieser Kernbrennstoff nicht nur an der Schwelle zum hochangereicherten, als waffenfähig geltenden Uran – selbst geringere Anteile des Urans-235 könnten schon zum Sicherheitsrisiko werden.
Waffenfähig schon bei weniger als 20 Prozent
Denn wie Kemp und sein Team berichten, ergaben Tests, die unter anderem in Los Alamos durchgeführt wurden, dass Uran auch schon unter der 20-Prozent-Schwelle waffenfähig sein kann. „Sofern man genug davon zusammenbringt, könnte man diesen Kernbrennstoff in einer Atomwaffe einsetzen“, so das Team. Bisher jedoch wurde dies bei den Sicherheitsbestimmungen weitgehend ignoriert – obwohl Wissenschaftler den US-Kongress schon 1984 darauf hinwiesen.
Der Grund dafür: „HALEU-Kernbrennstoff wurde früher kaum verwendet, seine Nutzung blieb auf Forschungsreaktoren begrenzt“, erklären Kemp und seine Kollegen. „Daher wäre es kaum praktikabel gewesen, eine Waffe aus diesen geringen Mengen herzustellen.“ Entsprechend wurde HALEU-Uran einer niedrigeren Sicherheitsstufe zugeordnet als hochangereichertes Uran und Plutonium. Doch wenn vermehrt HALEU-Kernbrennstoff für die Kleinreaktoren produziert und verwendet wird, ändert sich dies.
Eine Reaktorladung reicht für eine Hiroshima-Atombombe
„Wenn HALEU zum Standard-Reaktorbrennstoff wird, ohne dass die Sicherheitsauflagen verschärft werden, dann würde schon das Material aus einem einzigen Atomreaktor reichen, um eine Atombombe zu bauen“, berichten die Wissenschaftler. Ihren Berechnungen zufolge wären rund 100 bis 1.000 Kilogramm dieses Urans nötig, um eine Atomwaffe stärker als die 1945 auf Hiroshima abgeworfene Atombombe herzustellen – eine Urankugel dieser Masse wäre nur rund 46 Zentimeter groß.
Hinzu kommt: Der Bau einer Atombombe mit dem HALEU-Uran wäre auch für Gruppen, Organisationen oder Länder ohne langjährige Erfahrung mit Atomwaffen relativ schnell machbar. „Solche Länder wären nur Tage von einer fertigen Bombe entfernt – und die internationale Gemeinschaft hätte keine Vorwarnung und praktisch keine Möglichkeit, dies zu verhindern“, betonen Kemp und sein Team.
Strengere Auflagen nötig
Die Forscher appellieren daher an die US-Behörden, aber auch die internationalen Organisationen, die Sicherheitsauflagen für HALEU-Kernbrennstoffe zu verschärfen. Sie schlagen vor, schon Uran-Brennstoffe mit mehr als zehn bis zwölf Prozent Uran-235 in die höchste Sicherheitskategorie I aufzunehmen. „Dies hätte für viele Reaktorkonzepte von SMR-Anlagen nur geringe ökonomische Konsequenzen“, erklären sie. Gleichzeitig würde es aber die Gefahr durch potenziell waffenfähiges Uran weiterhin gering halten.
„Die Frage ist dringend, denn die Energie-Industrie muss eher früher als später wissen, wie hoch das Sicherheitsrisiko wirklich ist. Nur so können sie Atomreaktoren entwerfen, die nicht zur Quelle von waffenfähigem Uran werden können“, so das Team. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.ado8693)
Quelle: Science, Union of Concerned Scientists