Geowissen

1.500 Meter tiefer Graben beschleunigt Gletscherschmelze

Der sich erwärmende Ozean dringt über gletschergemachte Täler bis ins Inland der Westantarktis vor

Ein Forscher zieht den Schlitten mit dem Radargerät über das Eis des Ferrigno Gletschers. © British Antarctic Survey

Eine besondere geographische Formation könnte für das rapide Abschmelzen der westlichen Antarktis verantwortlich sein. Versteckt unter dem Ferrigno Gletscher haben britische Wissenschaftler einen bis zu 1.500 Meter tiefen Graben im Untergrund entdeckt. Dieser Einschnitt reiche bis zur Küste und sei dort mit dem sich erwärmenden Ozean verbunden. Dadurch könne er das Schmelzen des Eises bis weit ins Innere des Kontinents hinein verstärken, berichten die Forscher im Fachmagazin „Nature“. Schon heute ist die Westantarktis mit rund zehn Prozent am weltweiten Meeresspiegelanstieg beteiligt. Daher hoffen die Forscher durch ihre Entdeckung den zukünftigen Anstieg genauer vorhersagen zu können.

Mit Gletschern, die bis zu einem Meter pro Jahr schrumpfen, verliert die Westküste mehr Eis als alle anderen Regionen der Antarktis. „Um zu verstehen, warum dort einige Gletscher wie der Ferrigno Eisstrom besonders schnell abschmelzen, mussten wir die Bedingungen unter der Eisdecke untersuchen“, erklärt der Glaziologe Robert Bingham von der University of Aberdeen.

Geographische Daten der Region rund um den Ferrigno Gletscher wurden zum ersten Mal im Jahr 1961 aufgezeichnet. Erst jetzt, fünfzig Jahre später, betraten Wissenschaftler die Eislandschaft an der arktischen Westküste wieder, um diese Messungen zu vertiefen. Das britische Forscherteam verbrachte drei Monate damit, die 14.000 Quadratmeter große Eisfläche mit Radarschlitten zu durchleuchten. Um das Grabensystem realitätsnah abzubilden, ermittelten sie zudem Schwerkraftänderungen und magnetische Wellen innerhalb des Untersuchungsgebiets.

Höhenkarte des Untergrunds unter dem Ferrigno Gletscher © British Antarctic Survey

Der Grand Canyon der Antarktis

Nach der Auswertung ihrer Daten erhielten die Wissenschaftler ein neues geografisches Bild der arktischen Küstenregion: Unter den Eismassen des Ferrigno Gletschers liegt eine Millionen Jahre alte tektonische Verwerfung, die der Gletscher im Laufe der Zeit zu einem bis zu 1.500 Meter tiefen Graben ausgeschabt hat. „Wenn man heute das Eis dort abstreifen würde, könnte man eine Formation sehen, die in der Größe an den Grand Canyon heranreicht“, beschreibt Bingham.

Für die Antarktis hat die geografische Besonderheit weitreichende Folgen, berichten die Wissenschaftler. Zum einen beschleunige die von der Erdkruste aufsteigende geothermale Wärme das Abschmelzen der tieferen Eisschichten. Zum anderen verbinde der Graben heute das Südpolarmeer mit dem Ferrigno Gletscher. Dadurch dringe das sich erwärmende Meerwasser bis zu den Eismassen im Inland vor und verstärke die Schmelze zusätzlich.

Gletscherschmelze ist mehr als eine Folge des Klimawandels

„Die Veränderungen, die in der Antarktis heute beobachtet werden, zeigen nicht nur eine kurzfristige Reaktion auf die Klimaerwärmung“, schlussfolgern die britischen Wissenschaftler. Vielmehr seien diese Teil einer viel weitreichenderen Wechselwirkung zwischen der Aktivität der Kontinentalplatten, dem Wandel der Gletscherlandschaften, sowie letztlich auch ozeanischen und atmosphärischen Veränderungen. Da die Westantarktis bereits heute mit rund zehn Prozent am weltweiten Meeresspiegelanstieg beteiligt ist, helfe ihre Studie diesen Zusammenhang besser zu verstehen. Die Forscher hoffen dadurch auch den zukünftigen Anstieg der Ozeane genauer vorhersagen zu können. (doi:10.1038/nature11292)

(Nature, 26.07.2012 – ILB)

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