Gesellschaft

1.500 Sprachen sind akut vom Aussterben bedroht

Die Globalisierung gefährdet indigene Sprachen – eine Studie identifiziert nun Risikofaktoren

Sprachen
Die hier gezeigten Sprachen sind vorerst nicht im Gefahr, auszusterben. Wohl aber viele andere, die nur noch von wenigen Menschen gesprochen werden. © Qvasimodo/ iStock.com

Gefährdete Sprachen: Von den weltweit rund 7.000 anerkannten Sprachen könnten noch im Laufe dieses Jahrhunderts 1.500 aussterben, wie eine Studie enthüllt. Demnach werden viele indigene Sprachen von immer weniger Muttersprachlern gesprochen und nur noch selten an die nächste Generation weitergegeben. Ein Risikofaktor ist zum Beispiel eine lange Schulbildung, die Minderheitensprachen vernachlässigt. Um die Sprachenvielfalt zu bewahren, sind den Autoren zufolge aktive Schutzbemühungen erforderlich.

Unsere Sprache prägt, wie wir denken: Studien haben gezeigt, dass wir je nach Sprache unsere Umwelt unterschiedlich wahrnehmen, einen anderen Fokus bei Entscheidungen setzen und sogar moralische Fragen unterschiedlich beantworten. Jede Sprache hat individuelle Merkmale, die aus der Kulturgeschichte ihrer Sprecher hervorgegangen sind. In vielen Regionen der Welt werden allerdings Minderheitensprachen verdrängt und drohen zu verschwinden.

Mehr als jede dritte Sprache ist bedroht

Ein Team um Lindell Bromham von der Australian National University in Canberra hat nun erstmals global erhoben, welcher Anteil der derzeit noch gesprochenen Sprachen gefährdet ist und welche Risikofaktoren dazu beitragen. „Wir haben festgestellt, dass sich der Sprachverlust ohne sofortiges Eingreifen in den nächsten 40 Jahren verdreifachen könnte“, sagt Bromham. „Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnten 1.500 Sprachen nicht mehr gesprochen werden.“

In ihre Analyse bezogen die Forscher 6.511 Sprachen ein – mehr als 90 Prozent der heute auf der Welt gesprochenen Sprachen. Für diese Sprachen erhoben sie jeweils, wie viele Muttersprachler sie sprechen, wie alt die Sprecher sind und ob die Sprache noch an Kinder weitergegeben wird. Sprachen, die immer weniger Muttersprachler haben, stuften die Forscher als „bedroht“ ein; solche, die nicht mehr an Kinder weitergegeben werden, als „gefährdet“ – oder, wenn sie nur noch von älteren Menschen gesprochen werden, als „stark gefährdet“.

„37 Prozent aller von uns untersuchten Sprachen sind mindestens bedroht“, berichten die Forscher. 13 Prozent der 6.511 Sprachen haben schon heute keine Muttersprachler mehr, sondern werden nur noch als Zweitsprache gesprochen. Diese Sprachen bezeichnen die Forscher als „schlafend“.

Schule und Straßen als Risikofaktoren

Im nächsten Schritt erhoben Bromham und seine Kollegen, welche Risikofaktoren den Sprachverlust beeinflussen. Einer der wichtigsten Einflussfaktoren ist demnach die Dauer der Schulbildung. Die Autoren erklären dies damit, dass die Kinder in der Schule meist in der Mehrheitssprache unterrichtet werden. Indigene Sprachen werden dadurch verdrängt. Um die Sprachen zu retten, plädieren die Autoren daher für bilingualen Unterricht, der mindestens zum Teil auf der Minderheitensprache stattfindet.

„Bei den 51 Faktoren, die wir untersucht haben, fanden wir auch einige unerwartete Druckpunkte. Dazu gehört die Straßendichte“, berichtet Bromham. Straßen fördern, dass Menschen aus ländlichen Gegenden in die Stadt kommen, etwa um dort zu arbeiten. Dadurch verschiebt sich der Fokus auf die wirtschaftlich relevantere Mehrheitssprache. „Es sieht so aus, als ob die Straßen den dominanten Sprachen helfen, andere, kleinere Sprachen zu überrollen“, sagt Bromham. „Der Kontakt mit anderen lokalen Sprachen ist dagegen nicht das Problem – in der Tat sind Sprachen, die mit vielen anderen indigenen Sprachen in Kontakt stehen, tendenziell sogar weniger bedroht.“

Größter Sprachverlust droht in Australien

Zu den Gebieten mit dem höchsten Anteil gefährdeter oder bereits „schlafender“ Sprachen gehört Australien. „Vor der Kolonisierung wurden mehr als 250 Sprachen der Ureinwohner gesprochen, und Mehrsprachigkeit war die Norm“, berichtet Koautorin Felicity Meakins von der University of Queensland. „Heute werden nur noch 40 Sprachen gesprochen, und nur 12 werden von Kindern erlernt.“

Obwohl der Wandel und die Verschiebung von Sprachen natürliche Prozesse der menschlichen kulturellen Evolution seien, sei der aktuelle Verlust der Sprachenvielfalt, der durch die Globalisierung beschleunigt wird, bedenklich, schreiben die Forscher. „Wenn eine Sprache verloren geht oder ‚schläft‘, verlieren wir so viel von unserer kulturellen Vielfalt. Jede Sprache ist auf ihre eigene Weise brillant“, sagt Bromham.

Doch noch ist es den Forschern zufolge nicht zu spät: „Viele der Sprachen, deren Verlust für dieses Jahrhundert vorhergesagt wird, werden immer noch fließend gesprochen“, sagt Bromham. „Es besteht also immer noch die Möglichkeit, in die Unterstützung von Gemeinschaften zu investieren, um indigene Sprachen wiederzubeleben und sie für künftige Generationen zu erhalten.“ (Nature Ecology & Evolution, 2021, doi: 10.1038/s41559-021-01604-y)

Quelle: Australian National University

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