Vorbildfunktion mit Schwächen: 24 Länder haben es bereits geschafft, ihre Treibhausgas-Emissionen seit mindestens dem Jahr 2008 nicht mehr weiter ansteigen zu lassen und sie sogar zu senken, wie eine Vergleichsstudie aufzeigt. Um eine Erderwärmung um zwei Grad einzuhalten, müssen aber selbst diese „vorbildlichen“ Länder ihre Emissionen noch stärker reduzieren – vor allem außerhalb des Energiesektors.
Erst vor kurzem ging die Weltklimakonferenz in Glasgow zu Ende. In der Abschlusserklärung haben sich die Staaten darauf geeinigt, ihre Treibhausgasemissionen weiter zu reduzieren. So wollen die 197 Vertragspartner der UN-Klimarahmenkonvention es schaffen, das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens doch noch einzuhalten. Obwohl dafür nur noch ein sehr begrenztes CO2-Emissionsbudget bleibt, geht der globale Trend der CO2-Emissionen weiterhin nach oben – trotz des vorübergehenden Rückgangs durch die Corona-Pandemie.
Vorreiter gesucht
Wissenschaftler des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin haben untersucht, welche Staaten es bisher geschafft haben, ihre Treibhausgas-Emissionen längerfristig zu senken. Als Grundlage diente ihnen die von der EU-Kommission geführte Datenbank EDGAR, in der die weltweiten Treibhausgas-Emissionen seit 1970 nach Ländern und Sektoren aufgeschlüsselt sind.
Der Fokus der Forscher lag dabei auf Ländern, die als Vorreiter gesehen werden können, weil sie historisch gesehen schon länger dauerhaft weniger CO2 und Treibhausgase ausstoßen. Das Kriterium hierfür definierten sie so, dass der Höhepunkt der landesweiten Emissionen spätestens 2008 erreicht wurde. Die Wissenschaftler schauten sich dafür die EDGAR-Daten von 1970 bis 2018 an.
Auch Deutschland ist dabei
Das Ergebnis: Von den 197 Klimakonventions-Vertragspartnern können laut dem Bericht nur 24 Länder eine frühzeitige Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen vorweisen. Die stärksten Rückgänge seit dem jeweiligen Spitzenjahr verzeichnen die Ukraine, Dänemark und Großbritannien mit 77, 56 und 46 Prozent weniger Emissionen gegenüber ihrem jeweiligen nationalen Emissions-Peak. Auch Deutschland ist mit einem um 37 Prozent geringeren Treibhausgas-Ausstoß gegenüber seinem Hoch im Jahr 1979 unter den Vorreitern.
Eine Besonderheit des Ergebnisses ist, dass sich 22 der 24 Vorreiter-Länder in Europa befinden. Lediglich die USA und Jamaika liegen auf einem anderen Kontinent. Weder aus Asien, noch aus Afrika, Südamerika oder Ozeanien konnte ein Land das Kriterium der MCC-Wissenschaftler erfüllen. „Die globale Trendwende steht noch aus“, sagt William Lamb, Leitautor der Studie und Ökologe am MCC.
Unterschiedliche Gründe und Zeitpunkte
Die Wissenschaftler teilten die 24 Länder in die drei Gruppen ein. Sie definierten sechs „Frühstarter“, die ihren Höhepunkt bereits in den 1970er-Jahren hatten, darunter auch Deutschland, Großbritannien und Nordmazedonien. Die Forscher sehen die Ursache für den frühen Umschwung weniger in politischen Entscheidungen als in strukturellen Veränderungen. So sorgte die Ölkrise der 1970er Jahre beispielsweise einen Umstieg von Öl auf Gas als Energiequelle. Gas erzeugt bei der Nutzung zwar grundsätzlich weniger CO2, ist aber auch keine nachhaltige Ressource.
„Ein weiteres Merkmal kann natürlich auch die nukleare Erzeugungskapazität sein, die in vielen OECD-Ländern, insbesondere aber in Frankreich, Belgien und Schweden, sehr umfangreich ist“, so die Forscher. Die eher schleichenden, strukturellen Gründe der Emissionsreduktion zeigen sich auch in eher geringen jährlichen Rückgangsraten. Durch die lange Laufzeit konnten die sechs Frühstarter ihren jährlichen CO2-Ausstoß seit ihren jeweiligen Peaks aber um insgesamt 1,1 Gigatonnen reduzieren.
Sonderstellung Ostblock
Einen etwas späteren, aber deutlich drastischeren Rückgang der Treibhausgas-Emissionen haben die Länder aus der zweiten Gruppe durchgemacht. Die Wissenschaftler fanden sechs ehemalige Ostblock-Staaten, die um 1990 eine Zäsur durchliefen. Durch den Niedergang der Sowjetunion fiel die Wirtschaftsleistung in diesen Ländern stark ab. „Viele ineffiziente und verlustbringende Unternehmen wurden privatisiert oder stillgelegt und die zuvor subventionierten Energiepreise stiegen in vielen Ländern stark an“, so der Bericht.
Den Löwenanteil übernimmt hier die Ukraine: Sie hat gegenüber ihrem Höchststand 1988 im Jahr 2018 insgesamt 646 Megatonnen weniger CO2 produziert – die anderen fünf Länder der Gruppe kommen zusammen auf gut 340 Megatonnen Reduktion.
Besser spät als nie
Die dritte Gruppe bilden die sogenannten „Spätstarter“. Diese zwölf Länder hatten ihren maximalen Ausstoß durchschnittlich im Jahr 2004. Die größten Emittenten sind hier die USA, Italien und Spanien. Trotz des erst späten Umschwungs konnten beispielsweise die USA ihren jährlichen CO2-Ausstoß um 700 Megatonnen reduzieren.
„Sie sind aber ein Schlüsselbeispiel dafür, dass die jüngsten nationalen Fortschritte bei der Emissionsreduzierung mit Vorsicht zu interpretieren sind. Mehrere Studien weisen darauf hin, dass in den USA eine rasche Umstellung von Kohle auf Gas im Gange ist, die durch einen Schiefergasboom, bundesstaatliche Steueranreize und die sinkende Wettbewerbsfähigkeit der Kohle vorangetrieben wird“, so die Forscher. Sie betonen außerdem, dass Gas nicht nur kein CO2-neutraler Energieträger ist, sondern bei der Förderung und beim Transport häufig klimaschädliches Methangas entweicht.
„Die 24 Länder, die man als Vorreiter bezeichnen könnte, haben seit ihrem jeweiligen Peak ihren CO2-Jahresausstoß um insgesamt 3,2 Milliarden Tonnen reduziert“, so Lamb. Um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, müssten aber selbst diese Länder ihren Treibhausgas-Ausstoß noch weiter verringern. Pro Jahr müssten sie für dieses Ziel ihre Emissionen um vier Prozent senken, was selbst die „besten“ Länder historisch gesehen nicht immer geschafft haben.
Hauptsächlich Energiesektor
Ein Problem liegt laut den Wissenschaftlern in der fehlenden Breite der Maßnahmen. „In allen Fällen wurden Emissionsreduzierungen vor allem im Bereich der Energiesysteme erzielt, insbesondere bei der Strom- und Wärmeerzeugung,“ so die Forscher in ihrem Bericht. „Diese stellt zwar in den meisten Ländern nach wie vor die größte Emissionsquelle dar, im Gegensatz dazu sind die Emissionen im Verkehrssektor in der Regel allerdings stabil oder steigen an.“ Auch in den Bereichen Gebäude und Landwirtschaft wird nach Meinung der Wissenschaftler zu wenig getan.
„Trotz aller Einschränkung gibt unser Befund auch Anlass zu einem gewissen Optimismus“, sagt Jan Minx, Lambs Kollege. „Die dauerhaften Rückgänge bei den Emissionen wurden über die gesamte Zeit betrachtet in Verbindung mit dauerhaftem Wirtschaftswachstum erreicht. Und sie zeigen, was schon bei der in der Vergangenheit eher moderat ambitionierten Klimapolitik möglich ist.“ Durch den steigenden politischen Druck erhoffen sich die Wissenschaftler demnach weiterhin stärker schrumpfende Treibhausgas-Emissionen. (Climate Policy, 2021; doi: 10.1080/14693062.2021.1990831)
Quelle: Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Chaange