Ob Tourismus oder Stadtmarketing, Architektur oder Verkehrsplanung: virtuelle dreidimensionale Modelle werden inzwischen in vielen Bereichen eingesetzt. So planen Mobilfunkbetreiber damit ihre Netze, Architekten visualisieren geplante Bauvorhaben und die Stadtverwaltung beschleunigt Genehmigungsverfahren. Die Vorteile liegen klar auf der Hand: Virtuelle Modelle erlauben es, ortsbezogene Entscheidungen zu fällen, ohne tatsächlich vor Ort sein zu müssen.
Dreidimensionale Stadtansichten sind keine Erfindung der Neuzeit: Schon vor über 350 Jahren stellte Mattias Merian der Ältere in seiner Firma mehr als 2.150 Ansichten europäischer Städte als Kupferstich her. Dabei stand allerdings nicht unbedingt die wahrheitsgemäße und maßhaltige Abbildung im Vordergrund, sondern eher eine vorteilhafte Darstellung – seinerzeit bereits zum Zweck des Stadtmarketings.
Im Gegensatz zu damals steht jedoch heute die größtmögliche Genauigkeit der Modelle im Vordergrund. So gibt es für die Erfassung der Wirklichkeit inzwischen eine Vielzahl moderner Messplattformen wie Satelliten oder Nahbereichssensoren, die auch für die Messung millimetergroßer Strukturen geeignet sind. „Die Luftbildphotogrammetrie ist das meistgenutzte Messverfahren für die Erfassung dreidimensionaler Stadtmodelle“, erklärt Claus Brenner vom Institut für Kartographie und Geoinformatik der Universität Hannover. „Dabei werden von einem Flugzeug aus Bilder derart aufgenommen, dass jeder Punkt am Boden in mehreren Bildern sichtbar ist. Ähnlich wie beim menschlichen Stereosehen werden hieraus anschließend dreidimensionale Informationen abgeleitet“, fügt Brenner hinzu.
Neben diesem Verfahren, das in seinen Prinzipien bereits 150 Jahre alt ist, hat sich in jüngerer Vergangenheit das luftgestützte Laserscanning etabliert, welches die Oberfläche mittels eines Laserstrahls direkt dreidimensional erfasst. „Aufgrund der sehr schnellen Messung von bis zu 100.000 Punkten pro Sekunde entstehen sehr umfangreiche Datensätze, so genannte Punktwolken. Diese werden anschließend in geometrische Modelle überführt“, erläutert Brenner die Vorgehensweise. „Im Nahbereich setzen wir analog terrestrische Scanner ein, welche Fassaden und Gebäude sehr detailliert mit mehreren Millionen Punkten erfassen können“, so Brenner.
Modellierung
Der größte Aufwand bei der anschließenden Erstellung der virtuellen 3D Stadtmodelle liegt in der Modellierung. So lassen sich je nach Anwendung und Datenfülle verschiedene „Levels of Detail“ (LOD) berechnen. „Diese reichen in zunehmender Komplexität von einfachen Flachdachrepräsentationen über detaillierte Dächer mit Feinstrukturen wie Dachgauben und Schornsteinen bis hin zu virtuell begehbaren Architekturmodellen“, beschreibt Brenner die Möglichkeiten. Aufgrund des hohen Aufwandes beschränkt sich die Erfassung von Städten jedoch in der Regel auf komplexe Dachlandschaften mit einer differenzierteren Modellierung einiger ausgewählter Gebäude.
Aktuelle Forschungsfragen beschäftigen sich mit der Automatisierung der Datenerfassung sowie dem vollautomatischen Übergang von detaillierten zu weniger detaillierten Modellen, der so genannten Generalisierung. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich jedoch vor allem die zuverlässige Automatisierung der Erfassung als sehr aufwändig herausgestellt.
Zukunft virtueller dreidimensionaler Stadtmodelle
Die systematische Erfassung dreidimensionaler Stadtmodelle nimmt derzeit beständig zu. „Beispielsweise stellt die Schweiz die Erfassung und Speicherung aller Topographiedaten in den nächsten Jahren komplett auf 3D-Modelle um. Auch fordert eine von der EU in 2002 verabschiedete Richtlinie zur Minderung von Umgebungslärm genaue Angaben zur Lärmbelastung, welche ohne 3D-Modelle nicht ableitbar sind“, beschreibt Brenner den praktischen Einsatz der Modelle. „Schließlich sind in Japan bereits Fahrzeugnavigationssysteme auf dem Markt, welche dreidimensionale Stadtmodelle anzeigen. Ähnliche Entwicklungen finden derzeit auch in Europa statt“, so Brenner. Entsprechend wird der Bedarf an einheitlichen, aktuellen und flächendeckend verfügbaren Stadtmodellen wohl auch in Zukunft weiter zunehmen.
(Dr. Claus Brenner / Universität Hannover, 12.05.2006 – AHE)