Klima

485 Millionen Jahre Klima in einer Kurve

Rekonstruktion liefert neue Einblicke in Temperaturen seit dem Ende des Kambrium

Klimakurve
Wie hat sich das Klima in den letzten 485 Millionen Jahren verändert? Das haben Forschende jetzt rekonstruiert. © HG: 3Dsculptor/ Getty images

„Fieberkurve“ unseres Planeten: Wie hat sich das Klima der Erde in den letzten 485 Millionen Jahren verändert? Und wo lagen die Extreme? Antworten liefert nun eine neue Rekonstruktion der globalen Oberflächentemperaturen seit dem Zeitalter des Kambrium. Sie enthüllt unter anderem, dass das Erdklima stärker schwankte und wärmer war als gedacht. Außerdem bestätigt die neue Kurve, dass Kohlendioxid auch früher schon eine entscheidende Rolle spielte, wie das Team in „Science“ berichtet. Doch einige Fragen bleiben offen.

Das Klima der Erde ist keineswegs stabil: Immer wieder kam es zu drastischen Kaltzeiten, unterbrochen von extremen Hitzephasen. Umso wichtiger ist es zu wissen, was solche Schwankungen auslöst und wie stark das irdische Klimapendel ausschlagen kann. Rekonstruieren lässt sich das Paläoklima unter anderem anhand von Fossilien, Sediment- und Eisbohrkernen sowie Isotopenanalysen. Allerdings sind diese Zeugnisse oft lückenhaft. Vollständige Referenzkurven reichen daher nur rund 66 Millionen Jahre zurück.

Foraminiferen
Mikrofossilien wie diese Foraminiferen und die in ihren Schalen gespeicherten Isotopenwerte sind wichtige „Zeitzeugen“ der Klimageschichte. Doch es bleiben Lücken. © Brian Huber/ Smithsonian

Wetterprognose rückwärts

Jetzt gibt es eine neue Rekonstruktion, die 485 Millionen Jahre zurückreicht – bis zum Ende des Kambriums, des Zeitalters, in dem die Vorfahren fast aller heutigen Tiergruppen entstanden. Dafür werteten Emily Judd vom Smithsonian National Museum of Natural History in Washington und ihr Team zunächst die Daten von fünf verschiedenen geochemischen Klimaarchiven aus – darunter Isotopenanalysen verschiedenster Fossilien und Bohrkerne. Insgesamt erhielten sie dadurch mehr als 150.000 Datenpunkte aus verschiedenen Zeiten und Orten weltweit.

Allerdings blieben trotz dieser Datenfülle noch zahlreiche Lücken. „Es ist, als wenn man versucht, das fertige Bild eines Tausend-Teile-Puzzles anhand von nur einer Handvoll Puzzlestücken zu rekonstruieren“, erklärt Judd. Deshalb nutzten sie und ihre Kollegen zusätzlich mehr als 850 Modellsimulationen, um zeitliche oder räumliche Lücken zu schließen. Das Grundprinzip ist dabei ähnlich wie bei den Modellen für die Wettervorhersage. „Nur dass wir sie nicht nutzen, um das Wetter der Zukunft vorherzusagen, sondern um vergangenes Klima abzubilden“, so Judd.

Temperatur-Spanne größer als gedacht

Das Ergebnis ist eine weitgehend lückenlose Kurve, die die Veränderungen der irdischen Mitteltemperaturen in den letzten 485 Millionen Jahren widerspiegelt – und die einige bemerkenswerte Informationen liefert. So enthüllt die Klima-Rekonstruktion, dass die irdischen Temperaturen stärker schwankten als zuvor gedacht. „Die Spanne reicht von Minimumwerten von 11 Grad während der letzten Eiszeit bis zu Maximalwerten von 36 Grad vor 93 bis 89 Millionen Jahren“, berichten Judd und ihr Team. „Diese Spannbreite ist größer als bei früheren Rekonstruktionen.“

Gleichzeitig enthüllt die Rekonstruktion, dass die Erde häufiger und länger einem warmen Treibhaus glich als einem Kühlschrank: Warmphasen mit Temperaturen zwischen 25 und 36 Grad machten rund 41 Prozent der Gesamtzeit aus. Kühlere Phasen mit Mitteltemperatuten zwischen 11 und 22 Grad kamen dagegen in rund 31 Prozent der Zeit vor. Die restlichen 27 Prozent der Zeit entfallen auf Übergangsperioden zwischen beiden.

Mancherorts zu heiß für das Leben?

Die Analysen ergaben auch, dass es vor allem in den Tropen zeitweise deutlich heißer war als bisher angenommen. „Es gibt große Regionen der Kontinente, in denen es in den warmen Monaten heißer wurde als 45 Grad“, schreiben die Forschenden. „Das wirft die Frage auf, ob die regionalen Temperaturen während solcher Treibhausphasen nicht die thermischen Grenzen für mehrzelliges Leben überschritten haben.“ Denn die obere Toleranzgrenze der meisten heutigen Lebewesen liegt bei 35 bis 40 Grad.

Allerdings: Heutige Tiere und der Mensch sind von einer eher kühlen Klimaphase geprägt. Denn seit Beginn des Oligozäns vor rund 33 Millionen Jahren herrscht auf der Erde ein vergleichsweise kühles Klima. So liegen die heutigen Mitteltemperaturen bei rund 15 Grad, im Schnitt der gesamten 485 Millionen Jahre lag das Mittel aber bei 24 Grad, wie das Team ermittelte. „Menschen und die Arten, mit denen wir heute den Planeten teilen, sind daher eher an ein kaltes Klima angepasst“, sagt Koautorin Jessica Tierney von der University of Arizona.

Überraschend starker Einfluss des CO2

Überraschend war auch der unerwartet enge Zusammenhang der Temperatur-Entwicklung mit den CO2-Werten: Die Rekonstruktion ergab, dass sich die Mitteltemperaturen für jede Verdopplung des CO2-Gehalts um knapp acht Grad erhöhen. Klimaforscher bezeichnen diesen Zusammenhang als Klimasensitivität des Erdsystems. „Dies illustriert eindeutig, dass Kohlendioxid der dominante Einflussfaktor auch über geologisch lange Zeiträume hinweg ist“, erklärt Tierney.

Doch was für den gegenwärtigen Klimawandel unumstritten ist, weckt über solche langen Zeiträume hinweg durchaus Verwunderung: „Ein so konsistenter Zusammenhang zwischen CO2 und globalen Oberflächentemperaturen ist schon etwas überraschend“, erklärt das Forschungsteam. „Denn über diese großen Zeiträume hinweg erwarten wir, dass Nicht-CO2-Einflüsse wie Veränderungen der Sonneneinstrahlung oder andere Treibhausgase ebenfalls eine Rolle spielen.“ Eine mögliche Erklärung wäre, dass sich einige dieser Effekte gegenseitig ausgleichen.

„Noch nicht die finale Kurve“

Doch ob das wirklich so ist und welche noch unerkannten Faktoren hineinspielen, muss noch weiter untersucht werden, wie Judd und ihre Kollegen betonen. „Wir sind uns alle darin einig, dass dies noch nicht die finale Kurve ist“, sagt Judds Kollege Brian Huber. „Wissenschaftler werden weitere Informationen über die tiefe Vergangenheit finden, die dabei helfen werden, diese Kurve noch zu präzisieren.“ (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adk3705)

Quelle: Science, Smithsonian, University of Arizona

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