Archäologie

Ägyptische Mumie trug älteste Prothese der Welt

Ersatzteil für den großen Zeh könnte tatsächlich als Laufhilfe eingesetzt worden sein

Ersatzzeh aus dem Ägyptischen Museum in Kairo © University of Manchester

Die älteste bekannte Prothese stammt vom Fuß einer ägyptischen Priestertochter und ist ein aus Holz und Leder bestehender Ersatz für den großen Zeh. Ein jetzt in „The Lancet“ veröffentlichter Praxistest mit einem Nachbau hat erstmals belegt, dass sich dieser Ersatz tatsächlich zum Laufen eignet und daher mehr als nur eine Grabbeigabe gewesen sein könnte. Genau dieser Punkt war seit Jahren umstritten.

Im Jahr 2002 stießen Archäologen bei Ausgrabungen nahe Luxor in Ägypten auf einen ungewöhnlichen Fund: Eine Mumie, die statt eines ihrer großen Zehen eine Nachbildung aus Holz und Leder trug. Die aus dem Jahr 600 vor Christus stammende Mumie war vermutlich einst die Tochter eines Priesters der 21. Dynastie. Der mit Leinenfäden am Fuß befestigte Zehenersatz war einem echten Zeh detailgetreu nachgebildet und der Zehennagel sogar bemalt.

Echte Prothese oder reiner Mumienschmuck

Wozu dieser Ersatzzeh allerdings diente, war bis heute umstritten: Während Mohamed El-Bialy, Generaldirektor der Antikenbehörde Oberägyptens, in ihm eine echte Prothese sah, die noch zu Lebzeiten getragen wurde, hielt der ägyptische Staatsminister für Altertümer, Zahi Hawass, den Ersatzzeh für erst nach dem Tod hinzugefügt. Er eigne sich nicht als Prothese und solle nur sicherstellen, dass damit der Körper der mumifizierten Priestertochter unversehrt ins Jenseits gelangen könne.

Greville Chester Great toe aus dem Britischen Museum in London © University of Manchester

Lauftest mit Nachbau

Diesen langjährigen Streit könnte jetzt ein Forscherteam der Universität Manchester beigelegt haben. Denn die Forscher machten kurzerhand den Praxistest: Sie bauten exakte Kopien des ägyptischen Ersatzzehs und eines weiteren, im Britischen Museum aufbewahrten und baten zwei Freiwillige, die jeweils ihre rechte Großzehe verloren hatten, diese Kopien auszutesten. Entscheidende Frage dabei: Verbessern diese Ersatzzehen wirklich die Lauffähigkeit oder nicht?

„Der große Zeh trägt rund 40 Prozent des Körpergewichts und ist verantwortlich für den Vorwärtsschub, obwohl auch Menschen ohne ihn sich anpassen können“, erklärt Jacky Finch vom Zentrum für biomedizinische Ägyptologie der Universität Manchester. „Um als echte Prothese zu gelten, muss ein Ersatz mehrere Kriterien erfüllen. Das Material muss den Körperkräften standhalten, so dass es bei Benutzung nicht bricht. Die Proportionen sind wichtig und das Aussehen muss ausreichend lebensecht sein, um sowohl für den Träger als auch die Menschen um ihn herum akzeptabel zu sein. Außerdem muss es leicht abzusetzen und abzunehmen sein, um den Stumpf sauber und unverletzt zu halten. Aber am wichtigsten: Es muss beim Laufen helfen.“

Ersatzzeh erleichtert Laufen

Um den Bedingungen vor 2.600 Jahren so nah wie möglich zu kommen, trugen die Freiwilligen den Ersatzzeh mit einer ebenfalls nachgemachten ägyptischen Sandale. Es zeigte sich, dass vor allem der Kairoer Zeh von den Probanden als extrem angenehm empfunden wurde und das Laufen tatsächlich erleichterte. Um die biomechanischen Faktoren des Gangs beurteilen zu können, analysierten die Forscher den Gang der Versuchspersonen mit integrierten Kamerasystemen und Drucksensoren auf dem Laufsteg.

„Die Ergebnisse deuten stark darauf hin, dass beide Designs dazu geeignet waren, als echter Ersatz für den verlorenen Zeh zu fungieren. Daher können sie tatsächlich als echte Prothesen eingestuft werden“, so Finch. Damit wäre der Zeh der ägyptischen Priestertochter die älteste bekannte Prothese überhaupt. „Wenn das der Fall ist, dann gab es die ersten Anfänge dieses Zweigs der Medizin tatsächlich schon bei den alten Ägyptern.“ (The Lancet, 2011; doi:10.1016/S0140-6736(11)60190-6)

(The University of Manchester, 14.02.2011 – NPO)

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