Geowissen

Älteste Tropfsteine der Alpen entschlüsseln Gebirgsbildung

Zwei Millionen Jahre alte Sinterbildungen aus dem Allgäuer Hauptkamm erforscht

Blick aus der Wilden Mann Höhle Richtung Südosten auf den Gipfelaufbau des Hohen Lichtes © Michael Meyer

Ein Geologenteam hat die bis dato ältesten Tropfsteine der Alpen datiert und dadurch neue Einblicke in das komplexe Prozessgefüge der Gebirgsbildung gewonnen. Die jetzt in „Geology“ veröffentlichte Studie nutzt dafür erstmals an Tropfsteinen die Uran-Blei-Datierung und rekonstruiert mit Hilfe dieser Daten und Isotopenanalysen die Hebungs- und Erosionsraten der Allgäuer Kalkalpen vor zwei Millionen Jahren.

Gebirge befinden sich in einem ständigen Wechselspiel zwischen klimagesteuerten Erosionsprozessen und den tektonischen Kräften, die eine Verfaltung und Verdickung der Erdkruste herbeiführen. Während Erosion nur ein Ziel kennt, die Landschaftseinebnung, pressen plattentektonische Kräfte die Erdkruste jedoch immer weiter zusammen und auch empor – Hochgebirge wie unsere Alpen können daraus resultieren. Tatsächlich existiert ein delikates Gleichgewicht zwischen Klima, Erosion und Gebirgshebung. Die einzelnen Parameter dieses Kräftespieles exakt zu quantifizieren, hat sich jedoch bis dato als ungemein schwierig herausgestellt.

Uran-Blei Datierung von Tropfsteinen

Ein Geologenteam der Universität Innsbruck und der University of Leeds (UK) hat hier einen neuen Ansatz entwickelt, der besonders alte, absolut datierte Tropfsteine zur Landschaftsrekonstruktion heranzieht. Die Forscher untersuchten Höhlenruinen, die in den Gipfelregionen der Allgäuer Alpen (Tirol) entdeckt wurden und aus welchen die ältesten Tropfsteine, die man bis dato aus den Alpen kennt, geborgen wurden. Tropfsteine eignen sich im Allgemeinen gut, um das Klima längst vergangener Zeiten detailliert zu rekonstruieren. Bestimmte Höhlen und Sinterformationen bieten sich darüber hinaus aber auch zur Rekonstruktion von Gebirgsbildungsprozessen an, wie die Forscher jetzt zeigten.

Tropfstein aus der Wilden Mann Höhle (Stalagmit, 5,30 cm lang) © Michael Meyer

Da sich Prozesse der Tropfsteinbildung auf Zeitskalen von Jahrmillionen abspielen, muss für eine Landschaftsrekonstruktion das genaue Alter von entsprechenden Höhlen und Tropfsteinformationen bestimm werden. Hier kam in der Studie die sogenannte Uran-Blei Datierung zum Einsatz. Diese Technik wird üblicherweise zur geologischen Altersbestimmung von noch viel älteren Gesteinen und Mineralen verwendet. „Für Tropfsteine wurde sie bisher nur selten angewandt, da sich nur Sinter mit einem hohen Urangehalt für diese Datierungtechnik eignen. Eine Situation, die im Fall der Allgäuer Alpen glücklicherweise gegeben ist“, betont Robert Cliff von der University of Leeds, der für die Altersbestimmung der Allgäuer Tropfsteine verantwortlich ist.

„Wir konnten das Alter dieser Höhlenkalzite auf gut zwei Millionen Jahren vor heute datieren. Ihre einzigartige geochemische Zusammensetzung und ihre biologischen Einschlüsse unterscheiden sie maßgeblich von allen anderen Höhlensintern, die aus dem Alpenraum sonst bekannt sind“, erklärt Michael Meyer, der am Institut für Geologie und Paläontologie der Universität Innsbruck tätig ist.

Höhlen lagen einst 1.500 Meter tiefer

Die Analyse der Tropfsteine und ein isotopengeologischer Modellierungsansatz erlaubten es den Forschern, auch die Tiefe der Höhle und die Höhe Gipfelflur vor rund zwei Millionen Jahren – also zur Zeit der Sinterbildung – zu eruieren. Es konnten daraus die damaligen Hebungs- und Erosionsraten für den Nordrand der Kalkalpen errechnet werden, in einer Phase, die durch wiederkehrende Eiszeiten und somit durch intensive Glazialerosion gekennzeichnet ist.

„Unsere Daten zeigen, dass diese Höhlen während der Tropfsteingenese rund 1.500 Meter tiefer lagen und die Gipfel etwa 500 Meter niedriger verglichen mit der heutigen Situation“, so Meyer. Diese Höhenänderungen sind signifikant und können vermutlich auf die immer wiederkehrenden Vereisungen und die damit einhergehende Erhöhung der Erosionsleistung zurückgeführt werden. Dieses wiederum erzwingt eine isostatische Ausgleichsbewegung der Erdkruste, was die Gipfel in noch größere Höhen aufsteigen lässt – ein auf den ersten Blick paradoxes Phänomen, das zwar von geophysikalischen Modellen vorhergesagt wird, aber in Natura extrem schwer nachzuweisen ist.

(Universität Innsbruck, 29.04.2011 – NPO)

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