Schwindende Eismassen: Den Alpen könnte eine eisfreie Zukunft bevorstehen. Wie eine aktuelle Prognose erneut bestätigt, werden die Gletscher aufgrund des Klimawandels erheblich an Volumen einbüßen. Schreitet die Erderwärmung weiter voran wie bisher, könnten die alpinen Eismassen im Jahr 2100 demnach sogar fast vollständig verschwunden sein. Ein drastischer Rückgang der Treibhausgasemissionen kann diesen Verlust zwar nicht mehr verhindern, aber immerhin einschränken.
Nahezu überall auf der Welt schrumpfen wegen der globalen Erwärmung die Gletscher: Die Eismassen schwinden im Himalaya ebenso wie in Grönland und der Antarktis – auch die europäischen Alpen sind gegen diese Entwicklung nicht gefeit. Schon heute büßen die Alpengletscher zunehmend an Volumen ein und Klimaforscher haben den alpinen Eismassen bereits häufiger eine düstere Zukunft prognostiziert. Doch wie wird sich die Gletscherschmelze genau weiterentwickeln?
Die Hälfte ist schon verloren
Dieser Frage sind Harry Zekollari und seine Kollegen von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich nachgegangen – und liefern nun eine aktuelle und detaillierte Prognose zur Zukunft der rund 4.000 Gletscher der Alpen. Für die Studie nutzten die Forscher Beobachtungsdaten und Computermodelle, um die künftigen Schmelzprozesse unter unterschiedlichen Klimaszenarien zu simulieren. Als Referenzpunkt diente dabei der Zustand der Gletscher im Jahr 2017. Damals nahmen die Eismassen ein Volumen von rund 100 Kubikkilometern ein.
Die Ergebnisse zeigten: Egal, wie gut die Klimaschutzbemühungen voranschreiten – die Alpengletscher werden in den kommenden Jahrzehnten in jedem Fall deutlich schrumpfen. Der Prognose zufolge büßen die Gletscher bis 2050 rund die Hälfte ihres Volumens ein. Einsparungen bei klimaschädlichen Treibhausgasemissionen und ein weiterer Erwärmungsstopp können dies unter anderem deshalb nicht mehr verhindern, weil die Gletscher nur verzögert auf Klimaveränderungen reagieren. Ihre Entwicklung in der nahen Zukunft lässt sich demnach kaum noch beeinflussen, wie die Wissenschaftler berichten.
Gebirge ohne Eis?
„Nach 2050 aber wird die weitere Entwicklung der Gletscher stark davon abhängen, wie sich das Klima verändert“, betont Zekollari. So offenbarten die Analysen: Geht man von einem optimistischen Szenario aus, in dem die Treibhausgasemissionen drastisch zurückgehen und eine globale Erwärmung von zwei Grad Celsius im Jahr 2100 nicht überschritten wird (RCP2.6-Szenario), verlieren die Alpengletscher zwei Drittel ihres heutigen Volumens. Bleiben würden im Jahr 2100 dann immerhin noch rund 37 Kubikkilometer Eis, wie die Forscher ermittelten.
Im Falle eines ungebremsten Klimawandels sieht die Situation dagegen noch düsterer aus: Steigen die Emissionen in den kommenden Jahrzehnten weiter an (RCP8.5-Szenario), bleibt von den Alpengletschern so gut wie gar nichts übrig. „In diesem Fall werden die Alpen 2100 nahezu eisfrei sein. Nur in sehr hohen Lagen bleiben isolierte Eisflecken bestehen, die insgesamt fünf Prozent oder weniger des heutigen Eisvolumens ausmachen“, erklärt Koautor Matthias Huss.
Gravierende Folgen
Angesichts der weltweit nur schleppend vorankommenden Klimaschutzbemühungen und der Tatsache, dass die Erderwärmung derzeit weiter voranschreitet, scheint dieses traurige Bild der eisfreien Alpen durchaus realistisch zu sein. Bewahrheitet es sich, hätte dies gravierende Folgen für Mensch und Natur. Denn die Alpengletscher spielen nicht nur eine herausragende Rolle für den Skitourismus. Sie übernehmen darüber hinaus eine wichtige Funktion im Wasserkreislauf und fungieren als natürliche Wasserspeicher.
Um die Gletscher und ihre wertvollen Funktionen zumindest teilweise zu erhalten, ist deshalb schnelles Handeln gefragt: „Die Gletscher der europäischen Alpen und ihre jüngste Entwicklung gehören zu den eindrücklichsten Indikatoren für die gegenwärtigen Klimaveränderungen. Die Zukunft dieser Gletscher ist tatsächlich in Gefahr – aber es besteht immer noch die Chance, künftige Eisverluste zu limitieren“, schließt Mitautor Daniel Farinotti. (The Cryosphere, 2019; doi: 10.5194/tc-13-1125-2019)
Quelle: European Geosciences Union (EGU)