Erdgeschichte

Als das Mittelmeer austrocknete

Fossilien enthüllen dramatische Folgen der messinischen Salinitätskrise vor rund 5,5 Millionen Jahren

ausgetrocknetes MIttelmeer
Was aussieht wie ein abstraktes Gemälde, zeigt das fast ausgetrocknete Mittelmeer während der messinischen Salinitätskrise vor rund 5,5 Millionen Jahren. © Paubahi/CC-by-sa 3.0

Mediterrane Katastrophe: Vor 5,6 Millionen Jahren trocknete fast das ganze Mittelmeer aus – statt Wasser türmten sich Salzablagerungen auf. Welche dramatischen Folgen dies für die Lebenswelt des Mittelmeeres hatte, hat ein internationales Team nun erstmals vollständig erfasst. Demnach überdauerten nur 86 endemische Mittelmeer-Spezies diese ökologische Katastrophe – rund elf Prozent des ursprünglichen Bestands. Die meisten heutigen Arten kamen hingegen erst nach der erneuten Flutung des Beckens, wie die Forschenden in „Science“ berichten.

Vor rund 5,97 Millionen Jahren bahnte sich im Mittelmeerraum eine Katastrophe an: Durch tektonische Verschiebungen hob sich der Untergrund zwischen Gibraltar und Nordafrika und blockierte den Einstrom von Wasser vom Atlantik ins Mittelmeer. Als Folge dieser messinischen Salinitätskrise wurde das abgeschnittene Mittelmeer immer salziger, der Meeresspiegel sank und mächtige Salzschichten lagerten sich ab. Vom einstigen Meer blieben nur noch einige flache Salzseen.

Diese drastische Trockenphase endete erst vor rund 5,33 Millionen Jahren, als die Gibraltar-Barriere nachgab. Eine gewaltige Sturzflut ergoss sich daraufhin in das fast leere Mittelmeerbecken und füllte es innerhalb weniger tausend Jahre wieder auf.

Stratigrafie
Dieser deutlich erkennbare Wechsel in den geologischen Ablagerungen dokumentiert das Ende der Salinitätkrise im Mittelmeer durch die große Sturzflut aus dem Atlantik.© Konstantina Agiadi

Knapp 23.000 Fossilien als Zeitzeugen

Doch was waren die ökologischen Folgen dieser mediterranen Doppelkatastrophe? Das hat nun ein internationales Forschungsteam um Konstantina Agiadi von der Universität Wien und ihre Kollegen erstmals umfassend untersucht und geklärt. „Frühere Studien zu den Auswirkungen der messinischen Salinitätskrise konzentrierten sich auf nur bestimmte Organismengruppen, zudem beruhten sie auf unvollständigen und teils nicht gesicherten Szenarien“, erklären Agiadi und ihre Kollegen. „Dies ist die erste statistische Analyse einer so großen ökologischen Krise.“

Für ihre Studie werteten die Forschenden knapp 23.000 Fossilien von 4.897 Arten aus, die in verschiedenen Teilen des Mittelmeeres und entlang seiner Küsten gefunden wurden. Diese Relikte stammen aus der Zeit vor 11,63 bis 3,6 Millionen Jahren und decken damit die Zeit vor der Austrocknung, während der Salinitätskrise und nach der erneuten Flutung des Meeresbeckens ab. Das Spektrum der erfassten Arten reichte vom Nanoplankton über Korallen, Muscheln und Fische bis hin zu großen Meeressäugern.

Zygophyseter varolai
Dieser fossile Schädel stammt von einem urzeitlichen Pottwal, der bis zur Salinitätskrise im Mittelmeer vorkam. Als das Meer austrocknete, starb Zygophyseter varolai aus. © Giovanni Bianucci und Chiara Sorbini

„Ausrottung der mediterranen Lebenswelt“

Die Auswertungen enthüllten eine drastische Umwälzung von Artenvielfalt und Artenspektrum – erst durch die Austrocknung, dann durch die Flutung. Zwei Drittel der zuvor im Mittelmeer heimischen Arten waren nach der Krise verschwunden. Von den 779 endemischen, nur im Mittelmeer vorkommenden Arten überlebten nur 86 die doppelte Katastrophe – das entspricht elf Prozent der endemischen Lebenswelt. Die heute im Mittelmeer vorkommenden Spezies haben sich demnach größtenteils erst nach der Krise etabliert.

„Insgesamt deuten unsere Fossilanalysen damit auf eine faktische Ausrottung der mediterranen Biota während dieser Krise hin“, berichten Agiadi und ihre Kollegen. „Die Schließung und dann Wiederöffnung der Meerenge und auch die Bildung der Salzablagerungen verursachten eine großmaßstäbige Unterbrechung funktioneller Prozesse in diesem Ökosystem.“

Erst Salz, Sauerstoffmangel und Isolation…

Das Team hat auch rekonstruiert, was genau in den einzelnen Phasen der Salinitätskrise passierte. Demnach führte der mangelnde Wassernachschub zuerst dazu, dass der Salzgehalt anstieg und der Sauerstoffgehalt vor allem in den tieferen Zonen des Mittelmeeres sank. „Als sich die Salzevaporite ablagerten, wurde der Meeresgrund für bodenlebende Organismen lebensfeindlich“, erklären die Forschenden. Dadurch starben viele in der Tiefe lebende Arten aus, darunter zahlreiche Knochenfische und Muscheln.

An der Meeresoberfläche schnitt das sinkende Wasser viele Buchten und tiefere Becken vom verbliebenen Meeresrest ab und isolierte die dort lebenden Populationen. Dies unterband den Ein- und Ausstrom von Wasser, Nährstoffen, aber auch Larven und Plankton und störte so zentrale ökologische Prozesse. Viele Arten kamen mit den stark schwankenden Salzgehalten und Temperaturen nicht zurecht und starben aus. Gleichzeitig verschwanden auch die riffbildenden Korallen des Mittelmeeres.

Casatia thermophila und Metaxytherium subapenninum
Sie gehörten zu den Neuankömmlingen nach der großen Flut: Der ausgestorbene Gründelwal Casatia thermophila und die Seekuh Metaxytherium subapenninum. © Alberto Gennari

…dann Sturzflut und Neuankömmlinge

Dann folgte die große Flut – und stellte wieder die gesamte Ökologie auf den Kopf. Denn nun mussten sich die wenigen an Trockenheit, Brackwasser oder Salztümpel gewöhnten Überlebenden erneut umstellen. Wieder änderten sich Nährstoffeinstrom, Salzgehalt und Temperaturen. Hinzu kam, dass mit dem Atlantikwasser nun auch neue Spezies ins Mittelmeer gespült wurden oder aktiv einwanderten. Dazu gehörten auch Weiße Haie und Delfine sowie viele Planktonarten und wirbellose Tiere.

Durch den Atlantik-Einstrom entwickelte sich im Mittelmeer auch ein neuer Gradient der Biodiversität, wie die Fossilanalysen enthüllten: Vor der Krise war das östliche Mittelmeer um rund sechs Prozent artenreicher als das flachere, kleinere westliche Becken. „Nach der messinischen Salinitätskrise gab es im östlichen Mittelmeer 14 Prozent weniger Arten als im westlichen“, berichten Agiadi und ihr Team. Dieses Absinken der Artenvielfalt von Westen nach Osten hat sich bis heute erhalten.

Erholung dauerte 1,7 Millionen Jahre

Und noch etwas enthüllten die Auswertungen: Obwohl das Mittelmeer wahrscheinlich innerhalb weniger Monate bis Jahre wieder vollgelaufen war, dauerte die ökologische Erholung weit länger: „Die Biodiversität in Bezug auf die Artenzahl erholte sich erst nach mehr als 1,7 Millionen Jahren“, berichtet Agiadi. Nur sehr langsam stabilisierten sie sich die Bedingungen so weit, dass sich die wenigen verbliebenen Mittelmeerarten wieder ausbreiten und die Neuankömmlinge Fuß fassen konnten.

„Die Ergebnisse werfen eine Reihe neuer spannender Fragen auf“, sagt Seniorautor Daniel García-Castellanos von Geosciences Barcelona (CSIC). „Wie und wo haben elf Prozent der Arten die Versalzung des Mittelmeers überlebt? Wie haben frühere, noch größere Salzformationen die Ökosysteme und das Erdsystem verändert?“ Denn so schwerwiegend die Salinitätskrise des Mittelmeeres auch war: Ähnliche, teilweise noch größere Krisen hat es im Laufe der Erdgeschichte in mindestens 138 weiteren Meeresbecken gegeben, wie das Team berichtet. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adp3703)

Quelle: Science, Universität Wien

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