Eisige Zeitreise: Am kältesten Ort der Antarktis haben Forscher mit der Bohrung nach dem ältesten Eis der Erde begonnen. Ziel des Projekts EPICA Beyond ist es, mithilfe von Eisbohrkernen bis in die Zeit vor 1,5 Millionen Jahren zurückzublicken. Die Einschlüsse in diesem uralten Eis könnten unter anderem verraten, warum das Erdklima vor rund einer Million Jahren so stark schwankte. Bis die Bohrkerne geborgen sind, muss das Team allerdings einiges aushalten.
Eisbohrkerne sind Zeitkapseln: Die in ihnen eingeschlossene Gase und Staubkörnchen speichern wertvolle Informationen über Klima und Umwelt vergangener Zeiten. Altes Eis hat beispielsweise enthüllt, dass die Alpen vor 6.000 Jahren noch fast eisfrei waren, dass die Luft in Europa schon während der Antike messbar verschmutzt war und dass der Gehalt von Kohlendioxid und Methan in den letzten 800.000 Jahren nie so hoch war wie heute.
Die bisher längsten lückenlosen Eisbohrkerne stammen aus dem ewigen Eis der Antarktis. Dort haben Forscher im Rahmen des EPICA-Projekts bis in 2.774 Meter Tiefe gebohrt und sind dabei bis zu Eisschichten vorgedrungen, die vor rund 900.000 Jahren gebildet wurden.
1,5 Millionen Jahre in die Vergangenheit
Doch jetzt soll es noch tiefer hinunter und weiter zurück gehen: Nach rund zwei Jahren der Vorbereitung haben im November 2021 die Bohrungen des Nachfolgeprojekts „Beyond EPICA – Oldest Ice“ begonnen. Ziel ist es, 1,5 Millionen Jahre zurück in die Vergangenheit zu kommen. Ein solcher Eisbohrkern könnte unter anderem klären helfen, warum sich vor 900.000 bis 1.200.000 Jahren der Takt der Warm- und Kaltzeiten plötzlich änderte und was diese Schwankungen auslöste.
Als Stelle für die neue Eisbohrung hat das internationale Forschungsteam einen der entlegensten Orte der Erde ausgewählt: Dome C auf dem antarktischen Plateau. Dieses auf gut 3.200 Meter Höhe liegende Hochplateau ist mehr als tausend Kilometer von der Küste der Antarktis entfernt und gilt als einer der unwirtlichsten und kältesten Orte der Erde. Selbst im Sommer steigt das Thermometer dort selten über minus 35 Grad. Die einzige Zuflucht bietet die rund 40 Kilometer entfernte Polarforschungsstation Concordia.
170 Meter pro Woche
Seit 2016 untersuchen Wissenschaftler die Umgebung von Dome C, um die am besten geeignete Stelle für die Tiefbohrung zu finden. „Wir haben mehr als 2.400 Kilometer an Radaraufnahmen gesammelt, um die Altersstruktur des Eises und die Topografie des Grundgesteins zu charakterisieren“, berichtet Robert Mulvaney vom British Antarctic Survey. „Nach mehreren Jahren der Suche und einem verzögerten Start wegen der Corona-Pandemie können wir nun endlich mit der Bohrung beginnen.“
Ziel ist es, pro Woche rund 170 Meter an Eiskernen zu erbohren und sich so allmählich immer weiter in die Tiefe vorzuarbeiten. Während der aktuell laufenden Bohrsaison 2021/2022 wird nicht nur das erste Loch gebohrt und die ersten Eisschichten gewonnen, die Forscher werden auch ein provisorisches Bohrkernlager ins Eis hauen. In ihm sollen die Bohrkernabschnitte gelagert werden, bis sie aus dieser entlegenen Gegend abtransportiert und in spezielle Eiskernlager gebracht werden können.
Jahre der Arbeit nötig
„Die Zeit wird zeigen, ob wir den Ort gut gewählt haben“, sagt Mulvaney. „Es könnte vier Jahre dauern, bis wir bis zum Grundgestein hinuntergebohrt haben, aber ich bin zuversichtlich, dass wir dort Eis finden werden, das substanziell älter ist als das zuvor erbohrte.“ Die Bohrstelle des Vorgänger-Projekts EPICA liegt nur rund 35 Kilometer von der aktuellen Bohrung entfernt, hat aber dünneres Eis.
„Wir versuchen jetzt, noch weiter in der Zeit zurückzureisen“, sagt Projekt-Koordinator Carlo Barbante von der Ca‘ Foscari-Universität in Venedig. „Das könnte uns auch helfen, den aktuellen Klimawandel in der richtigen Perspektive zu sehen.“
Quelle: British Antarctic Survey, Università Ca‘ Foscari Venezia