Erdgeschichte

Antarktis: Transkontinentales Flusssystem entdeckt

Vor der Vereisung durchzog ein gut 1.500 Kilometer langer Fluss die Westantarktis

Antarktis
Heute ist die Westantarktis von Gletschern, Schelfeisen und dem Ozean bedeckt. Doch das war früher anders. © NOAA NESDIS/ Michael Van Woert

Verschwundener Strom: Noch vor gut 34 Millionen Jahren war die Westantarktis von einem riesigen, gut 1.500 Kilometer langen Flusssystem durchzogen – dem größten bisher in der Antarktis entdeckten. Dieser transkontinentale Urzeit-Fluss entsprang im Transantarktischen Gebirge und strömte durch die damals noch eisfreie Westantarktis bis in die Amundsensee. Dies belegt auch, dass dieser Teil des Südkontinents damals – anders als heute – noch über dem Meeresspiegel lag, wie Geologen in „Science Advances“ berichten.

Heute ist die Antarktis von einem kilometerdicken Eispanzer bedeckt. Doch das war nicht immer so: Noch in der Kreidezeit gab es in dieser Region Dinosaurier und frühe Vögel, am Südpol wuchs sogar ein artenreicher Regenwald. Erst vor rund 34 Millionen Jahren kühlte das Klima soweit ab, dass sich in der Antarktis Gletscher und Eisflächen ausbreiteten. Wie die antarktische Landschaft vor der Vereisung aussah, ist jedoch erst in Teilen bekannt. So zeigen Radarkartierungen, dass unter dem Eispanzer gewaltige Schluchten, ausgedehnte Vulkangebiete und urzeitliche Flusstäler begraben liegen.

Bohrkern als Fenster in die Vergangenheit

Ein weiteres Puzzlestück der antarktischen Vergangenheit hat nun ein Forschungsteam um Maximilian Zundel von der Universität Bremen aufgedeckt. Für ihre Studie untersuchten sie Sedimentbohrkerne, die während einer Expedition des Forschungseisbrechers „Polarstern“ in der Amundsensee vor der westantarktischen Küste gewonnen wurden. Die Schichten dieser Bohrkernproben reichen bis in die Kreidezeit zurück, enthalten aber auch Sandsteinschichten aus dem Eozän und damit aus der Zeit unmittelbar vor der Vereisung dieser Region.

Um die Herkunft und das Alter des Gesteins zu ermitteln, führten die Forschenden chemische und mineralogische Analysen durch und datierten die Schichten mithilfe von Isotopenanalysen und Uran-Bleidatierung von Zirkonkristallen im Sediment. Zusätzlich nutzten sie seismologische Daten, um Hinweise auf die Topografie der Landschaft vor der Vereisung zu erhalten.

Rekonstuktion des Flusssystems
Lage und Verlauf des urzeitlichen transkontinentalen Flusssystems in der Westantarktis. © Zundel et al./ Science Advances, CC-by 4.0

1.500 Kilometer weit gereistes Sediment

Die Analysen enthüllten Überraschendes: Die vor 44 bis 34 Millionen Jahren in diesem Teil der Westantarktis abgelagerten Minerale und Gesteinsbruchstücke sind nicht rein lokalen Ursprungs. Stattdessen spricht ihre Zusammensetzung dafür, dass sie aus dem gut 1.500 Kilometer entfernten Transantarktischen Gebirge stammten. Dieses Gebirge begann sich durch vulkanische und tektonische Aktivität vor rund 44 Millionen Jahren am Rand der Ostantarktis aufzuwölben.

Die im Bohrkern der Amundsensee gefundenen Körnchen müssen demnach mehr als 1.500 Kilometer weit von diesem Gebirge bis an die Küste transportiert worden sein – aber wie? Hinweise darauf lieferten Reste organischer Materialien in den Bohrproben. Denn diese enthielten unter anderem Moleküle aus Zuckern und Kohlenwasserstoffen, wie sie typischerweise von Süßwasser-Blaualgen produziert wurden.

Ein Fluss quer durch die Westantarktis

Das aber bedeutet: Das Sediment aus dem Transantarktischen Gebirge kann damals nicht von Meeresströmungen an seinen Ablagerungsort gespült worden sein. Stattdessen muss ein Süßwasser führender Fluss die Körnchen transportiert haben: „Den Daten zufolge transportierte ein großes transkontinentales Flusssystem das Sediment vom jungen und gerade aufsteigenden Transantarktischen Gebirge den ganzen Weg durch die Westantarktis bis zum Südpazifik“, schreiben die Wissenschaftler.

Demnach war die Westantarktis bis vor 34 Millionen Jahren von einem mehr als 1.500 Kilometer langen Flusssystem durchzogen. „Die genaue Lage dieses westantarktischen Paläo-Flusssystems lässt sich nicht genau bestimmen“, so Zundel und seine Kollegen. „Aber es ist wahrscheinlich, dass es in den quer zum Transantarktischen Gebirge liegenden Talsystemen entsprang und dann parallel zum Gebirge floss.“ Das Flussbett verlief demnach teilweise dort, wo heute das Ross-Schelfeis liegt.

Höhenkarte der Antarktis
Heute liegen weite Teile der Westantarktis unter dem Meeresspiegel, wie diese topografische Karte zeigt. © Paul Heinrich / CC-by 3.0

Küstenebene mit sumpfigem Delta

Das neu entdeckte Flusssystems wirft auch ein neues Licht auf die urzeitliche Landschaft der Westantarktis. Denn heute liegt der felsige Untergrund dort größtenteils unter dem Meeresspiegel. Deshalb war bisher unklar, ob dieses Gebiet vor der Vereisung von Wasser bedeckt war oder eine Landfläche bildete. „Die Existenz eines transkontinentalen Flusssystems belegt jedoch, dass das Innere der Westantarktis damals noch über dem Meeresspiegel gelegen haben muss“, so Zundel und seine Kollegen.

Die Sedimentschichten aus jener Zeit verraten sogar, wie diese Landschaft vor der Vereisung ausgesehen haben könnte. Sie war demnach von ausgedehnten, flachen Ebenen geprägt, die nahe der Küste in ein ausgedehntes, sumpfiges Flussdelta übergingen. Indizien dafür lieferten Körnchen des Silikatminerals Kaolinit. Denn wie die Geologen erklären, entsteht dieses häufig durch sogenannte „Moorverwitterung“ in saurem Milieu, wie für Sumpfgebiete typisch.

Späte Vereisung

Die flache Topografie der Westantarktis könnte auch erklären, warum dieser Teil des Südkontinents wahrscheinlich später vereiste als die höher gelegenen Ostantarktis: Die Küstenebene westlich des Transantarktischen Gebirges war noch vom milderen Meeresklima geprägt. (Science Advances, 2024; doi: 10.1126/sciadv.adn6056)

Quelle: Science Advances, Universität Bremen

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