Geowissen

Aragonit speichert Alter von Bergstürzen

Neue Methode zur Datierung entwickelt

Aragonit (chemisch: CaCO3), der sich unmittelbar nach dem Fernpaß-Bergsturz in der Bergsturzmasse bildete. Dieser Aragonit wurde zur Bestimmung des proxy-Alters des Bergsturzes mit der U/Th-Methode verwendet. © Universität Innsbruck

Bergstürze gehören in den Alpen zur Normalität – heute und auch in der Vergangenheit. Doch wann genau fand der jeweilige historische Bergsturz statt? Auf diese Frage konnten Geologen bisher meist keine genaue Antwort geben. Nun haben Wissenschaftler eine neue Methode entwickelt, mit der das Alter von Bergstürzen präzise bestimmt werden kann.

Wissenschaftler vermuten seit langem einen Zusammenhang zwischen Klimaschwankungen und der Häufigkeit und Größe von Bergstürzen. Vor allem eine Verstärkung der Niederschläge und das Abschmelzen von Gletschern könnten dazu führen, dass solche Ereignisse häufiger auftreten. Um diesen Zusammenhang besser zu verstehen, ist die möglichst genaue Ermittlung des Alters von Bergstürzen eine unabdingbare Voraussetzung.

Der Fernpass-Bergsturz wurde erstmals vom Eiszeitforscher Albrecht Penck im späten 19. Jahrhundert als solcher erkannt. Seither wurde dieser Bergsturz, der mit etwa einem Kubikkilometer Masse der drittgrößte der Ostalpen ist, häufig untersucht. Größere Bergstürze sind – solange sie zu Tal fahren – äußerst bewegliche Massen, die mit Geschwindigkeiten von bis zu mehreren hundert Stundenkilometern abwärts rasen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes am „alpS Zentrum für Naturgefahren Management GmbH“, an dem auch die Universität Innsbruck maßgebend beteiligt war, wurde der Fernpass-Bergsturz mit Sprengseismik und Georadar-Messungen neu erkundet. Die Ergebnisse zeigten, dass die Bergsturzmasse am Fernpass-Scheitel bis mehrere hundert Meter dick ist.

Befunde bisher zu ungenau

Während etliche Aspekte von Bergstürzen bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannt waren, ist die Ermittlung ihres Alters in den meisten Fällen wesentlich schwieriger. „Das Problem dabei ist, dass „konventionelle“ geologische Befunde kaum zur Altersbestimmung verwendet werden können“, so Professor Diethard Sanders von der LFU Innsbruck.

Der bisherige Ansatz zur Altersbestimmung von Bergstürzen war, dass man mit der Radiokohlenstoff-Methode das Alter von Holzresten bestimmte, die sich in Seen ablagerten, die durch den Bergsturz aufgestaut wurden. Leider führt diese Methode oft nicht zu befriedigend genauen oder ausreichend sicheren Resultaten. Ähnlich war der Fall beim Fernpass-Bergsturz. Im Laufe der Zeit wurden von verschiedenen Geologen sehr unterschiedliche Alter vorgeschlagen, doch war keiner der konventionellen geologischen Befunde eindeutig.

Internationale Zusammenarbeit brachte Lösungen

Unter Einbeziehung detaillierter Geländeuntersuchungen von Christoph Prager (alpS, Universität Innsbruck), konnte nun durch Zusammenarbeit von Geologen, Geochemikern und Physikern verschiedener Forschungseinrichtungen der Uni Innsbruck, Uni Zürich und Uni Bern dem Fernpass-Bergsturz erstmals ein sehr enger Altersbereich zugewiesen werden.

Die Lösung des Problems lag bei zwei verschiedenen Mess-Verfahren. Die Physikerin Susan Ivy-Ochs von der Universität Zürich datierte das Expositionsalter der Gesteinsoberfläche der riesigen Ausbruchsnische des Bergsturzes mit Hilfe der chemischen Veränderungen im Gestein, die durch kosmische Strahlung entstehen. Die dabei gewonnenen zwei Alter zeigen an, vor wie langer Zeit eine Gesteinsfläche durch Abbruch freigelegt worden ist: 3600 ± 900 Jahre; 4800 ± 1100 Jahre; Durchschnitt 4100 ± 1300 Jahre, das wahrscheinlichste Alter des Bergsturzes.

Einzigartige „Innsbrucker Methode“ entdeckt

Geologen der Universität Innsbruck und von alpS beschritten einen völlig anderen Weg. „Wir fanden etwas, das bisher niemandem aufgefallen war: Unter riesigen Bergsturzblöcken war es knapp nach dem Bergsturz zur chemischen Absonderung einer bestimmten Art von Kalk, dem so genannten „Aragonit“ gekommen“, sagt Sanders.

Der Aragonit vom Fernpass enthält die radioaktiven Elemente Uran und Thorium. Das Isotop 234Uran zerfällt im Laufe der Zeit mit gleichbleibender Wahrscheinlichkeit in das Isotop 230Thorium. Sanders erklärt weiter „man hat also eine „Uhr“ zur Verfügung, die es erlaubt, die Zeit seit der Bildung des Aragonits zu messen, indem man die relativen Mengen an Thorium und Uran in diesem Mineral misst!“

Im Rahmen eines Sanders geleiteten Projekts gelang es Marc Ostermann in seiner Dissertation, mit der Uran-Thorium Methode das Alter des Bergsturzes mit bislang unerreichter Genauigkeit zu ermitteln. Die Messungen von Ostermann wurden an der Universität Bern, im Labor und unter Beratung von Professor Jan Kramers, ausgeführt. Demnach ging der Bergsturz vor mindestens 4.150 ± 100 Jahren vor heute nieder. Die Übereinstimmung der Alter des Fernpass-Bergsturzes, die mit zwei völlig verschiedenen Methoden bestimmt wurden, ist beeindruckend (4.100 ± 1.300 Jahre: Durchschnitt der Gesteins-Expositionsalter; 4.150 ± 100 Jahre: U/Th-Alter des Aragonits).

Voraussetzung zur Erstellung besserer Vorhersagen

Die „Innsbrucker Methode“, das Alter eines Bergsturzes mittels der Uran- und Thoriumgehalte neugebildeter Kalksinter einzugrenzen, wurde beim Fernpass-Bergsturz weltweit das erste Mal angewendet. Fortgesetzte Untersuchungen zeigten, dass sich ähnliche Kalksinter auch in anderen Bergstürzen neu gebildet haben. Daher sind die Kalksinter vom Fernpass-Bergsturz keineswegs eine Ausnahme.

Die rasche und vergleichsweise billige Uran-Thorium Methode soll in Zukunft auch in anderen Bergstürzen der Alpen angewandt werden, um deren Alter genauer zu ermitteln. „Dies ist eine wesentliche Voraussetzung zur Erstellung verbesserter Vorhersagemodelle zum Zusammenhang zwischen Klima bzw. global change und möglichen Naturgefahren der Zukunft im Alpinen Raum“, so Sanders.

(Universität Innsbruck, 16.03.2007 – DLO)

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