Dieser Fund schreibt Geschichte: Wissenschaftler haben in der Afar-Senke in Äthiopien die Überreste von unserem ältesten bekannten Urahnen entdeckt. Ardipithecus ramidus lebte vor 4,4 Millionen Jahren und damit noch deutlich vor dem Australopithecus „Lucy“. Das Fossil ergänzt damit die Geschichte der Hominidenentwicklung um ein wichtiges Kapitel.
Der Star unter den 36 „Affenmenschen“ von denen Skelettteile ausgegraben wurden, ist ein Weibchen, das die Forscher „Ardi“ tauften. Alle für eine anatomische Bestimmung wichtigen Knochen, etwa Schädel, Bezahnung, Hände, Hüfte, Beine und Füße sind erhalten. Weil die Stücke zum Teil schwer beschädigt waren, mussten innovative technische Methoden zur Untersuchung eingesetzt werden.
Das internationale Forscherteam unter der Leitung von Professor Tim White, Berkeley, USA, berichtet über die Ergebnisse der über 17 Jahre laufenden Fossilanalyse in einer Sonderausgabe des Wissenschaftsmagazins „Science“. „Mit Ardipithecus haben wir eine unspezialisierte Form entdeckt, die sich noch nicht sehr weit in Richtung des Australopithecus entwickelt hatte”, so White. „Wenn sie man von Kopf bis Fuß durchgeht, sieht man ein Mosaikwesen, das weder Schimpanse noch menschlich ist. Es ist Ardipithecus.“
Ardi lebte in Wäldern
Die Forscher konnten vor allem anhand der fossilen Zähne zeigen, dass sich Ardipithecus nicht im offenen Grasland aufhielt, sondern Lebensräume im bedeckten Wald bevorzugte. „Ardipithecus war in erster Linie ein geschickter Kletterer“, berichtet der Paläontologe Ioannis Giaourtsakis von der Univeristät München (LMU), der ebenfalls entscheidend an der Untersuchung beteiligt war. „Auf dem Boden konnte sich der Hominide aber auch auf zwei Beinen bewegen.“
Die Überreste der mindestens 36 Individuen von Ardipithecus ramidus sind 4,4 Millionen Jahre alt und repräsentieren den frühesten bekannten Hominiden, von dem ein Teilskelett erhalten ist. Diese Position belegte bislang Australopithecus, dessen bekanntestes Fossil die 3,2 Millionen Jahre alte „Lucy“ ist. Ardipithecus ist älter als die Australopithecinen und liegt damit näher am „gemeinsamen Vorfahren“ von Mensch und Schimpanse. Diese Linien haben sich vor mindestens fünf Millionen Jahren aufgetrennt.
Anatomie deutlich als beim als Australopithecus
Mit Hilfe von Computertomografie, Elektronenmikroskopie und anderen Verfahren konnten die Forscher unter anderem zeigen, dass Ardipithecus in der Anatomie deutlich primitiver als Australopithecus war. Unklar ist aber noch, ob sich Australopithecus direkt aus Ardipithecus oder parallel dazu entwickelte.
Neben den Hominidenfunden entdeckten die Forscher auch mehrere tausend fossile Pflanzen- und Tierreste, wie zum Beispiel von Eulen, Papageien, diversen Kleinsäugern, Stachelschweinen, Hyänen, Bären, Elefanten, Urpferde, Giraffen, zwei Affenarten, Antilopen und Nashörnern.
Auf die Evolutionsgeschichte von Nashörnern und anderen Einpaarhufern ist Giaourtsakis spezialisiert. Einer seiner Schwerpunkte war deshalb die morphologische Bestimmung der fossilen Tierzähne, die dann bestimmten Arten zugeordnet und auch chemisch analysiert werden konnten – um Rückschlüsse auf die Diät zu ziehen.
Älteste Urahnen waren Vegetarier
Die fossilen Zähne der Großsäuger erwiesen sich hier als besonders wertvoll: Bei heute noch lebenden Spezies ist die Art der Ernährung bekannt. Liefert die Zahnanalyse dieser Tiere und von Ardipithecus ähnliche Ergebnisse, kann auf einen ähnlichen Speiseplan geschlossen werden. Tatsächlich fand sich weitgehende Übereinstimmung zwischen dem Hominiden und den Tierarten, die sich vor allem von pflanzlicher Nahrung im Wald ernähren.
„Wir konnten damit zeigen, dass das Habitat von Ardipithecus überwiegend mit Wald bedeckt gewesen sein muss“, sagt Giaourtsakis. „Das benachbarte offene Grasland gehörte wohl nicht zum Habitat des Hominiden.“ Das bedeutet auch, dass sich die Fortbewegung auf zwei Beinen nicht erst als Antwort auf ein Leben in der offenen Savanne entwickelte. Denn Ardipithecus ramidus war in der Lage zumindest kurze Strecken auch schon auf zwei Beinen zurückzulegen, lebte überwiegend aber in geschlossenen bewaldeten Gebieten. Ardi konnte, so die Forscher, entsprechend gut und effizient klettern: Beim Greifen und Festhalten half der opponierbare große Zeh, was wegen des relativ großen Körpergewichts auch nötig war – Ardi wird auf 50 Kilogramm geschätzt.
Keine großen Konflikte
„Wenn sie sich auf allen Vieren bewegte, lief sie nicht auf ihren Knöcheln wie ein Schimpanse oder Gorilla, sondern auf ihren Handflächen. Kein heutiger Affe tut dies“, so White. Ardis Nachfolger, Lucy, war im Gegensatz dazu bereits sehr viel besser an das Laufen auf dem Boden angepasst. Nach Ansicht des Forschers deutet dies darauf hin, dass „die Hominiden erst im Autralopithecus-Stadium ihrer Evolution richtig bodenlebend wurden.“
Der Fund von Ardipithecus ramidus öffnet nach Angaben der Wissenschaftler ein wichtiges Kapitel in der Evolution der Hominiden. Er wirft neues Licht auf die Entwicklung der Fortbewegung auf zwei Beinen und liefert weitere interessante Erkenntnisse zur Entwicklung der höheren Primaten. „Das Gebiss von Ardipithecus zeigte nämlich eine weitere Auffälligkeit“, berichtet Giaourtsakis. „Die männlichen Primaten mit Ausnahme des Menschen tragen stark vergrößerte Eckzähne, mit denen sie drohen und angreifen. Die Eckzähne von Ardipithecus waren dagegen stark reduziert, was möglicherweise auf eine soziale Struktur ohne große Konflikte zwischen Männchen schließen lässt.“
Hominiden an der Wurzel unserer Entwicklungslinie
Ardi bedeutet in der Sprache der äthiopischen Afar „Boden“, während „ramidus“ für Wurzel steht. Damit steht der Name „Ardipithecus ramidus“ für einen am Boden lebenden Hominiden an der Wurzel unserer Entwicklungslinie. Noch ist unklar, ob Ardipithecus ramidus ein direkter Vorfahr des modernen Menschen ist oder ein Nebenzweig der Hominidenlinie darstellt.
Dennoch scheint es passend, dass die Millionen Jahre alten Funde in 17 langen Jahren von einer breit gefächerten Forschergruppe untersucht wurde: Hunderte von Menschen waren an der Ausgrabung in Äthiopien beteiligt, während 47 Forscher aus zehn Ländern die Millionen Jahre alten Funde wissenschaftlich aufbereiteten – um der Menschheit jetzt einen Blick in ihre eigene Geschichte zu präsentieren.
(idw – Universität München/American Association for the Advancement of Science (AAAS), 02.10.2009 – DLO)