Alarmierende Nachricht: Das älteste und dickste Eis der Arktis verschwindet doppelt so schnell wie der Rest des arktischen Meereises, wie nun eine Studie enthüllt. Betroffen ist dabei vor allem ein Gebiet nördlich von Grönland und Kanada. Diese vermeintlich dauerhafteste Eisreserve im Nordpolarmeer könnte demnach weit gefährdeter und dynamischer sein als bislang angenommen. Folgen hätte dies vor allem für vom Eis abhängige Tierarten wie Eisbären und Robben.
Das arktische Meereis schrumpft schon seit Jahren immer weiter, 2019 erreichte die Eisfläche den zweitkleinsten Wert seit Messbeginn. Gleichzeitig geht der Eisdrift im Nordpolarmeer zunehmend der Nachschub aus und die Eisbedeckung wird immer saisonaler. Forscher prognostizieren, dass die zentrale Arktis schon ab 2040 im Sommer schiffbar werden könnte – Routen direkt über den Nordpol wären dann möglich.
Last Ice Area – die letzte Reserve
Eine weitere Veränderung haben nun Kent Moore von der University of Toronto und seine Kollegen festgestellt. Für ihre Studie hatten sie die Entwicklung der Meereisgebiete untersucht, die bislang als die dauerhaftesten und stabilsten galten. Diese Zone reicht vom Norden der kanadischen Arktis bis zur Nordküste Grönlands. Dort ist das Meereis typischerweise mehr als vier Meter dick und taut auch im Sommer nicht vollständig ab. Es kann daher mehr als fünf Jahre alt sein.
„Den Klimamodellen zufolge wird diese Region die letzte sein, die ihre dauerhafte Eisbedeckung verliert“, erklären die Forscher. Diese Zone alten Meereises gilt daher auch als „Last Ice Area“ – die letzte Eisreserve der Arktis. Vor allem für eisabhängige Tierarten wie Eisbären und Robben könnte dieses Meereis in Zukunft ein letztes und wichtiges Refugium werden. „Dennoch ist bemerkenswert wenig über Klima und Eismerkmale dieser entlegenen und lebensfeindlichen Region bekannt“, so die Wissenschaftler.
Überraschend starke Schwankungen
Moore und sein Team haben deshalb erstmals diese Region des „letzten Eises“ näher untersucht. Dafür speisten sie Beobachtungsdaten von Satelliten und Wetterstationen von 1979 bis 2018 in ein Modell ein, das unter anderem den Einfluss von Meeresströmungen, Temperaturen und anderen Faktoren auf das Meereis abbildet. Auf dieser Basis rekonstruierten die Forscher die Entwicklung der Last Ice Area in den letzten Jahrzehnten.
Das Ergebnis: Selbst in den beiden Gebieten mit der dicksten Eisbedeckung reagiert das Meereis weit dynamischer auf saisonale und jahresübergreifende Faktoren als bislang angenommen. So enthüllten die Daten, dass die Eisdicke von Jahr zu Jahr um mehr als 1,20 Meter schwankt. Das aber bedeutet, dass auch dieses Meereis im Sommer stark ausdünnt – und so anfälliger für ein komplettes Abschmelzen wird.
Schwund von 40 Zentimetern pro Dekade
Noch besorgniserregender jedoch: Das Eis in zwei Unterregionen dieser Zone ist seit 1979 insgesamt um 1,50 Meter dünner geworden – dies entspricht einem Schwund von 0,40 Metern pro Jahrzehnt. „Der Eismassenverlust in diesen Gebieten ist damit doppelt so hoch wie sonst im arktischen Meereis“, berichtet Moore. „Wir können die Last Ice Area damit nicht mehr als monolithisches Gebiet behandeln, in dem das Eis noch für lange Zeit erhalten bleiben wird.“
Die Analysen enthüllten zudem, dass diese arktische Eisreserve stärker von Meeresströmungen und Winden beeinflusst wird als angenommen. Demnach werden vor allem im Westen dieses Gebiets in Jahren mit geringerer Eisdicke große Eismengen weggetrieben – und können dann leichter abschmelzen. „Bisher dachten wir, dass diese Zone höchstens Eis hinzubekommt“, kommentiert der nicht an der Studie beteiligte Eisforscher David Barber von der University of Manitoba. „Aber diese Ergebnisse lehren uns, dass sie weit dynamischer ist.“
Verlust des letzten Refugiums droht
Zusammengenommen zeigen diese Resultate, dass der Klimawandel inzwischen selbst das stabilste, vermeintlich dauerhafteste Meereis anzugreifen beginnt. Besorgniserregend ist dies auch deshalb, weil das arktische Meereis als ein Kippelement im Klimasystem gilt: Verschwindet die Eisdecke, könnte die Absorption der Sonnenwärme durch das dunkle, offene Wasser das Klima noch stärker anheizen.
Gleichzeitig bedeutet das Schwinden der letzten Eisreserve auch den Verlust des Refugiums für die eisabhängigen Tierarten der Arktis. „Wenn wir dieses Eis komplett verlieren, verlieren wir auch diese Arten“, sagt Moore. Denn bisher bestand die Hoffnung, dass diese Spezies in diesem Gebiet überdauern und dann von dort aus einmal den Rest der Arktis wiederbesiedeln können. (Geophysical Research Letters, 2019; doi: 10.1029/2019GL083722)
Quelle: American Geophysical Union (AGU)