Ein neuer Negativrekord bahnt sich an: Die sommerliche Eisschmelze in der Arktis könnte in diesem Jahr ähnlich dramatisch ausfallen wie zuletzt 2012. Schon jetzt ist das Meereis ungewöhnlich dünn, weil im Sommer 2015 viel abtaute und im Winter dann kaum Nachschub dazu kam, wie Eismessungen zeigen. Als Folge könnte in diesem Sommer die Eisfläche das Rekordminimum von 2012 erreichen oder sogar untertreffen, wie Meereis-Forscher berichten.
In der Arktis macht sich der Klimawandel mit am deutlichsten bemerkbar. Die Meereisfläche schrumpft immer weiter, im Sommer 2012 erreichte sie den neuen Rekordwert von nur noch 3,4 Millionen Quadratkilometer. Aber auch in den folgenden Jahren gab es keine echte Entwarnung: 2013 wich die Packeisgrenze so weit nach Norden zurück wie noch nie zuvor und 2014 setzte sich dies sogar noch fort.
Jetzt kündigt sich ein neues Rekordtief in der sommerlichen Meereis-Ausdehnung an, wie Forscher des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) berichten. Sie haben die Eisdickenmessungen des Satelliten CryoSat-2 aus den zurückliegenden fünf Wintern sowie die Daten von sieben in der Arktis ausgesetzten Messbojen ausgewertet.
Warmer Sommer und milder Winter
Das Ergebnis: Bereits im Sommer 2015 war das Meereis ungewöhnlich dünn. Der folgende Winter fiel dann sehr mild aus, so dass es kaum neuen Zuwachs geben konnte. Noch im Februar 2016 lagen die Temperaturen um bis zu acht Grad über dem Durschnitt. „Der besonders warme Winter in der Arktis hat dazu geführt, dass sich in vielen Gebieten nur sehr langsam neues Meereis gebildet hat“, erklärt Marcel Nicolaus vom AWI.
In ehemals eisreichen Gebieten wie dem Beaufortwirbel vor der Küste Alaskas sowie nördlich von Spitzbergen ist das Meereis in diesem Frühjahr dadurch deutlich dünner als sonst zu dieser Jahreszeit. „Wo das Festeis nördlich Alaskas normalerweise 1,5 Meter dick ist, messen unsere US-Kollegen derzeit weniger als ein Meter“, berichtet Stefan Hendricks vom AWI. „Derart dünnes Eis wird der Sommersonne nicht lange standhalten können.“
Neues Rekordminimum möglich
Die Wissenschaftler prognostizieren für den Sommer 2016 daher schon jetzt einen Rückgang der Meereisfläche, der mindestens dem Negativrekord von 2012 entspricht. „Vergleichen wir die Meereisdickenkarte des zurückliegenden Winters mit jener aus dem Jahr 2012, dann zeigt sich, dass wir derzeit ähnliche Eisbedingungen vorfinden wie im Frühjahr 2012 – teilweise sogar deutlich dünneres Eis“, sagt Nicolaus.
Allerdings entscheiden auch die Windverhältnisse sowie die Luft- und Wassertemperatur der Sommermonate über das Schicksal des Eises bis zum Ende der Schmelzsaison. Doch auch in dieser Hinsicht sehen die Prognosen nicht sehr rosig aus: Meeresströmungen könnten die letzten dicken Schollen von der Nordküste Grönlands und Kanadas nach Süden Richtung Nordatlantik schieben. „Auf diese dicken Schollen folgt dann dünnes Eis, welches im Sommer schneller schmilzt“, so Hendricks.
Wie die Forscher erklären, könnte die sommerliche Eisschmelze dieses Jahres alle Zuwächse wieder zunichte machen, die sich in den relativ kalten Wintern der Jahre 2013 und 2014 angesammelt hatten. „Es deutet demzufolge alles darauf hin, dass das Gesamtvolumen des arktischen Meereises im kommenden Sommer deutlich abnehmen wird und wir bei ungünstigen Witterungsbedingungen gegebenenfalls mit einem neuen Rekord-Minimum rechnen müssen“, sagt Hendricks.
(Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, 22.04.2016 – NPO)