Drastische Zunahme: Selbst die Tiefsee der Arktis ist inzwischen immer stärker mit Plastik vermüllt. An einer Messstelle zwischen Grönland und Spitzbergen zählten Forscher rekordverdächtige 8.082 Plastikteile pro Quadratkilometer. Das ist mehr als 20-fach mehr als noch vor zehn Jahren. Wie diese Plastikmengen in die entlegene Meeresregion in 2.500 Metern Tiefe kommen, ist bisher unklar. Möglicherweise aber spielt Meereis als „Transporteur“ dafür eine Rolle.
Plastiktüten, Kunststoffreste, Fischernetze: Unsere Ozeane vermüllen immer mehr. Schätzungen nach schwimmen bereits mehr als fünf Billionen Kunststoffpartikel in den Meeren – und jedes Jahr kommen mindestens acht Millionen Tonnen Plastikmüll hinzu. Selbst in der Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen haben Forscher vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven treibenden Plastikabfall entdeckt.
Plastikmüll am Ende der Welt
Wie viel Plastikmüll in dieser entlegenen Region bis in die Tiefsee herabsinkt, ermitteln die AWI-Forscher seit 2002 an zwei Messstellen im Tiefsee-Observatorium „Hausgarten“. Ein ferngesteuertes Kamerasystem macht dafür in regelmäßigen Abständen Fotos des Meeresbodens in 2.500 Metern Tiefe. Jetzt haben die Wissenschaftler ihre Ergebnisse von 2002 bis 12014 ausgewertet und daraus die Müllmenge in diesem Gebiet errechnet.
Das Ergebnis: Als die Wissenschaftler im Jahr 2011 eine Verschmutzung von 4.959 Müllteilen pro Quadratkilometer ermittelten, hofften sie noch, dass der hohe Wert ein Ausreißer sei. Doch die Mülldichte ist seitdem noch weiter angestiegen: Im Jahr 2014 erreichte sie mit durchschnittlich 6.333 Müllstücken pro Quadratkilometer einen neuen Höchstwert. „Unsere Messreihe belegt, dass der Müll in der arktischen Tiefsee in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat“, sagt Mine Tekman vom AWI.
20-fache Steigerung
Besonders dramatisch ist die Situation an der nördlicheren Messstation. „Hier ist die Verschmutzung in zehn Jahren um mehr als das 20-fache gestiegen“, berichtet Tekman. Waren es im Jahr 2004 noch 346 Müllteile pro Quadratkilometer, lag die Mülldichte zehn Jahre später schon bei 8.082 Teilen pro Quadratkilometer.
Damit ist die Mülldichte in diesem Teil der arktischen Tiefsee inzwischen genauso hoch wie in einem der vermülltesten Meeresgebiete überhaupt: dem Cap de Creus Unterwasser-Canyon vor der portugiesischen Stadt Lissabon. Wie und warum so viele Plastikteile auf den Grund des entlegenen Meeresgebiets zwischen Spitzbergen und Grönland gelangten, ist unklar. Denn meist hat das Plastik schon eine weite Reise hinter sich, bevor es den tiefen Meeresgrund erreicht.
Golfstrom, Fischerboote und das Meereis
Unbestritten ist allerdings der Einfluss des Golfstroms: Er transportiert Plastikmüll aus den südlichen Atlantikregionen in die Framstraße, wie die Forscher erklären. Auch die zunehmende Schifffahrt im Polarmeer spielt eine Rolle: Weil das Meereis sich immer weiter zurückzieht, dringen Fischtrawler und andere Schiffe immer weiter nach Norden vor.
Doch Tekman und ihre Kollegen haben noch eine Theorie, wie das Plastik dorthin gekommen sein könnte. Sie vermuten, dass das Meereis viele Plastikteile einschließen könnte und bei seiner Drift mitnimmt. Wenn das Eis dann im Sommer schmilzt, gibt es den Müll frei. „Bislang haben wir das Gegenteil erwartet, da wir das Eis eher als eine Barriere gegen die Verschmutzung betrachteten“, sagt Tekmans Kollegin Melanie Bergmann.
„Die Arktis hat ein Müllproblem“
Klar ist aber: Müll, der einmal in der arktischen Tiefsee gelandet ist, bleibt auch lange dort. Das zeigt eine Beobachtung aus dem Hausgarten: Ein bereits 2014 auf Fotos entdeckter Plastikfetzen tauchte zwei Jahre nahezu unverändert wieder auf. „Diese zweimalige Begegnung zeigt eindrücklich, dass die arktische Tiefsee ein Endlager für Plastikmüll zu werden droht“, meint Bergmann.
Die Forscher beobachteten einen weiteren bedenklichen Trend: Unter ihren Müllfunden waren in den letzten Jahren vermehrt kleinere Plastikteile und Mikroplastik-Partikel. Sie gelten als besonders schädlich für die marine Fauna. Verwunderlich ist diese Mikroplastikschwemme allerdings, weil Plastikmüll in der dunklen Tiefsee nicht durch UV-Licht zersetzt werden kann und die niedrigen Temperaturen einen biogenen Zerfall erschweren.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Arktis ein Müllproblem hat – und das dieses sich immer weiter nach Norden ausbreitet“, konstatieren die Forscher. Auch wenn die genaue Herkunft und Transportwege des gefundenen Plastiks noch nicht vollständig bekannt sind, zeige dies: „Unser momentanes Abfallmanagement ist nicht imstande, das Problem der marinen Müllverschmutzung effektiv anzugehen“, so Tekman und ihre Kollegen. „Wir müssen unsere Nutzung von Plastikmaterialien überdenken.“ (Deep-Sea Research I, 2017; doi: 10.1016/j.dsr.2016.12.011)
(Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, 09.02.2017 – NPO)