Die Küstenlinie in arktischen Dauerfrostgebieten reagiert auf den Klimawandel mit verstärkter Erosion und zieht sich im Durchschnitt um einen halben Meter pro Jahr zurück. Daraus ergeben sich dramatische Folgen für die küstennahen arktischen Ökosysteme und die dort lebende Bevölkerung. Zu diesen Ergebnissen ist jetzt ein internationales Wissenschaftlerteam in einer neuen Studie in der Springer-Fachzeitschrift „Estuaries and Coasts“ gekommen.
Gemeinsam hatte das Konsortium von mehr als 30 Forschern aus zehn Ländern mehr als 100.000 Kilometer und damit ein Viertel aller arktischen Küsten untersucht. Besonders dramatisch sind die Veränderungen in der Laptev-, der Ostsibirischen und der Beaufortsee, in denen die Erosionsraten der Küsten zum Teil mehr als acht Meter pro Jahr betragen.
Küstenerosion betrifft riesige Gebiete
Da rund ein Drittel der weltweiten Küsten im arktischen Permafrost liegen, kann die Küstenerosion in Zukunft riesige Gebiete betreffen, so die Wissenschaftler. Arktische Küsten reagieren generell empfindlicher auf die globale Erwärmung als die Küsten gemäßigter Breiten. Bisher wurden sie vor der erodierenden Kraft der Wellen durch ausgedehnte Meereisflächen geschützt.
Durch den kontinuierlichen Rückgang des Meereises ist dieser Schutz gefährdet, und es muss den Forschern zufolge mit schnellen Veränderungen der über Jahrtausende stabilen Situation gerechnet werden.
Gefrorenes Weichsubstrat
Zwei Drittel der arktischen Küsten bestehen nicht aus Fels, sondern aus gefrorenem Weichsubstrat (Permafrost). Und gerade solche Küsten sind besonders stark von Erosion betroffen. Zwar sind arktische Landstriche in der Regel nur dünn besiedelt. Wie nahezu überall in der Welt sind die Küsten aber auch im Hohen Norden wichtige Achsen für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben.
Wachsender Bedarf an globalen Energieressourcen wie auch zunehmender Tourismus und Gütertransport verstärken den menschlichen Einfluss auf die Küstenregionen der Arktis zusätzlich. Für Wildtierbestände wie die großen Karibuherden des Nordens oder die weit verbreiteten Süßwasserseen in Küstennähe ändern sich die ökologischen Bedingungen mit fortschreitender Erosion nach Angaben der Wissenschaftler erheblich.
Forscher sorgen für Überblick über die Erosionsgefährdung
„Als die systematische Erfassung im Jahr 2000 begann, lagen nähere Informationen gerade einmal für 0,5 Prozent der arktischen Küsten in Dauerfrostgebieten vor“, erklärt Hugues Lantuit vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Potsdam die Bedeutung der neuen Ergebnisse. „Nach mehr als zehn Jahren intensiver Arbeit haben wir nun einen umfassenden Überblick über deren Zustand und Erosionsgefährdung gewonnen“, so Lantuit weiter.
„Die Arktis entwickelt sich immer mehr zu einem Spiegel verschiedener Treiber des globalen Wandels und zum Zentrum überregionaler und weltweiter Wirtschaftsinteressen“, meint Hartwig Kremer vom Büro des internationalen Verbundprojekts „Land-Ocean Interactions in the Coastal Zone (LOICZ)“.
Erfolgreiche Zusammenarbeit
Mehr als dreißig Wissenschaftler aus zehn Ländern – darunter neben den AWI-Forschern auch Geologen vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht – waren an der Erstellung des Zustandsberichts „State of the Arctic Coast 2010“ beteiligt.
Initiiert und koordiniert wurde die Studie vom Internationalen Arktischen Wissenschaftsrat (IASC), dem LOICZ, der Internationalen Permafrost –Gesellschaft (IPA), sowie der Arbeitsgruppe „Arctic Monitoring and Assessment Programme (AMAP)“ des Arktischen Rates.
„Dieser internationale und interdisziplinäre Bericht dokumentiert insbesondere auch das Interesse und die Expertise deutscher Wissenschaftler im Bereich der arktischen Küstenforschung“, sagt Volker Rachold vom IASC. (Estuaries and Coasts, 2011; doi:10.1007/s12237-010-9362-6)
(Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, 18.04.2011 – DLO)