Explosiver Ursprung: Die erste Explosion einer Atombombe im Juli 1945 hat ein einzigartiges Fundstück hinterlassen – einen winzigen Quasikristall. Seine Kristallstruktur ist weltweit einzigartig und ist abwechselnd fünf-, drei- und zweifach symmetrisch. Der Quasikristall entstand, als Hitze und Druck Sand und Kupferkabel des Testgeländes verschmelzen ließen. Er ist der älteste menschengemachte Quasikristall und der bislang einzige, der vorwiegend aus Silizium besteht.
Quasikristalle sind faszinierende Ausreißer – sie galten lange sogar als „unmöglich“ und nicht existent. Anders als bei normalen Kristallen ist ihr Atomgitter nicht aus immer gleichen, sich periodisch wiederholenden symmetrischen Grundeinheiten zusammengesetzt. Stattdessen wechseln sich mehrere geometrische Grundformen ab. Aus der Natur sind bisher weniger als eine Handvoll solcher Quasikristalle bekannt, sie stammen alle aus Meteoriten. Aber auch im Labor wurden erst wenige Varianten dieser exotischen Minerale hergestellt.
Entdeckung in einem Relikt des Trinity-Tests
Jetzt haben Forscher um Luca Bindi von der Universität Florenz einen Quasikristall entdeckt, der in Bezug auf Herkunft und Struktur einmalig ist. Denn er entstand beim Trinity Test am 16. Juli 1945 – dem ersten Atombombentest der Welt. Die Explosion der Plutonium-basierten Kernwaffe in der Wüste von New Mexico setzte die Energie von 21 Kilotonnen TNT frei, ließ Sand und Kupferkabel des Testgeländes bis in eine Entfernung von 300 Metern schmelzen und erzeugte eine neue Art von Gesteinsglas, das sogenannte Trinitit.
Eine Probe dieses Trinitits haben Bindi und sein Team näher untersucht. Dabei handelt es sich um ein rund einen Zentimeter kleines Bröckchen des durch Kupfereinlagerungen rötlich-braun gefärbten Gesteinsglases. „Dieses rote Trinitit ist wahrscheinlich etwa 55 bis 60 Meter von Ground Zero entfernt entstanden, in einem Bereich, in dem das von der Turmspitze ausgehende Koaxialkabel in einem Graben endete“, berichten die Forscher.
Quasikristall mit drei verschiedenen Symmetrien
Doch als sie dieses Trinitit mithilfe der Elektronenmikroskopie und Röntgenkristallografie genauer analysierten, entdeckten die Wissenschaftler Überaschendes: In dem glasigen Gebilde identifizierten sie ein winziges Tröpfchen, das eine ungewöhnliche Gitterstruktur aufwies. In ihm bildeten die Atome von Silizium, Kupfer, Calcium und Eisen abwechselnd eine fünfzählige, dreizählige und zweizählige Symmetrie.
„Diese Kombination der Muster demonstriert eindeutig, dass es sich bei dieser neuen Phase um einen ikosaedrischen Quasikristall handelt“, konstatieren Bindi und sein Team. Aufgrund ihrer Analysen und der historischen Daten zum Trinity-Test vermuten sie, dass der Quasikristall bei Temperaturen von rund 1.500 Grad und einem Druck von fünf bis acht Gigapascal gebildet wurde.
Ältester menschengemachter Quasikristall
Damit haben die Forscher nicht nur einen neuen Quasikristall entdeckt – er ist auch in vieler Hinsicht einzigartig, wie sie betonen. So ist er das bislang einzige bekannte Exemplar dieser Festkörper, das bei einer Atombombenexplosion entstand. „Der Zeitpunkt seiner Synthese ist daher auf Sekunden genau bestimmbar“, so Bindi und sein Team. Noch ist offen, ob sich dieser Quasikristall auch im Labor erzeugen lässt und welche Bedingungen dafür genau herrschen müssen.
Gleichzeitig ist das Gebilde der älteste bisher bekannte anthropogene Quasikristall: Im Labor gelang die Herstellung des ersten Quasikristalls erst 1984, der Trinitit-Quasikristall ist dagegen schon 76 Jahre alt. „Die einzigen älteren Exemplare von Quasikristallen sind die natürlich gebildeten aus dem Khatyrka-Meteoriten, der mindestens einige hundert Millionen Jahre alt ist und vielleicht sogar aus der Frühzeit des Sonnensystems stammt“, erklären Bindi und seine Kollegen.
Einzigartige Zusammensetzung
Ebenfalls einzigartig ist die Zusammensetzung des neuentdeckten Quasikristalls. Denn mit einer Summenformel von Si61Cu30Ca7Fe2 ist der erste, der vorwiegend aus Silizium besteht. „Zurzeit gibt es keine andere Mischung aus Silizium, Kupfer und Calcium, die quasikristallin ist, noch gibt es einen weiteren Quasikristall, der primär aus Silizium besteht“, so die Forscher.
Ob es an anderen Atombomben-Testorten möglicherweise noch andere bisher unerkannte Quasikristalle gibt, müssen weitere Studien nun zeigen. Angesichts der extremen Bedingungen bei diesen Explosionen halten die Forscher dies aber für durchaus möglich. Denn die bisher bekannten natürlichen Quasikristalle entstanden alle bei Ereignissen, die mit sehr hohen Temperaturen und kurzen, starken Druckwellen verbunden waren. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2021; doi: 10.1073/pnas.2101350118)
Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences