Versteckte Mathematik: Michelangelos berühmtes Fresko „Die Erschaffung Adams“ enthält eine bisher unentdeckte Botschaft. Denn der Maler bildete den Menschen Adam nicht nur anatomisch sehr genau ab, er brachte auch den Goldenen Schnitt in dem Fresko unter – und dies auf eine Weise, die möglicherweise die religiöse Botschaft des Gemäldes unterstrich, wie Forscher im Fachmagazin „Clinical Anatomy“ berichten.
Das Fresko „Die Erschaffung Adams“ an der Decke der Sixtinischen Kapelle in Rom gehört zu den bekanntesten Werken der Kunstgeschichte. Der Renaissance-Maler Michelangelo Buonarroti stellt in ihm dar, wie Gott den ersten Menschen zum Leben erweckt – symbolisch verdeutlicht durch eine Berührung mit dem Zeigefinger, die sozusagen den Funken überspringen lässt.
Subtile anatomische Bezüge
„Wie andere Renaissance-Künstler auch, besaß Michelangelo ein großes Wissen über die menschliche Anatomie“, erklären Deivis de Campos von der Universität von Porto Alegre in Brasilien und seine Kollegen. „Dies zeigt sich in der Perfektion, mit der er die menschliche Gestalt in seinen Werken wiedergibt.“
Einige Forscher vermuten sogar, dass Michelangelo noch weitere anatomische Bezüge in dieses Fresko einfließen ließ. Denn der Umhang Gottes ähnelt darin verblüffend der Form des menschlichen Gehirns – bis in die kleinsten Wölbungen hinein. Möglicherweise soll dies auf subtile Weise die Ansicht repräsentieren, dass vor allem der menschliche Intellekt den göttlichen Teil des Menschen darstellt.
Der Goldene Schnitt als Symbol
Doch das berühmte Fresko enthält sogar noch mehr verborgene Symbole, wie De Campos und seine Kollegen nun aufdecken. Denn wie sie durch Vermessungen herausfanden, folgt das Gemälde auch dem Goldenen Schnitt – und dies auf symbolträchtige Weise. Der Goldene Schnitt beschreibt eine Proportion, bei der sich das längere Teilstück einer Strecke zur Gesamtlänge genauso verhält wie das kürzere Stück zum längeren.
Genauso ist es nach Angaben der Wissenschaftler auch im Schöpfungs-Fresko von Michelangelo: Die Größe der Gottesfigur im Verhältnis zu Adam verhält sich wie die beiden Figuren im Verhältnis zu Gott. Die Fingerspitzen der beiden Figuren markieren dabei die Trennung der beiden Teilabschnitte. Und nicht nur das: Verlängert man diesen Trennpunkt senkrecht zu den beiden Figuren, ergibt sich ein weiterer Goldener Schnitt, der alle Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle umfasst.
Anatomie und Mathematik
„Diese Daten sind ein überzeugender Beleg dafür, dass auch Michelangelo den Goldenen Schnitt kannte und nutzte“, so De Campos und seine Kollegen. „Die Schönheit und Harmonie seiner Werke beruht daher nicht nur auf seinen guten Anatomiekenntnissen. Wir glauben, dass Michelangelo den Goldenen Schnitt nutzte, um die ästhetische Qualität seiner Werke bewusst zu erhöhen.“
Im Falle der „Erschaffung des Adam“ transportiert der Goldene Schnitt vielleicht sogar eine tiefere symbolische Botschaft. Denn sie verdeutlicht die Stellung von Mensch und Gott im Universum: „Im Fresko steht Gott für den Himmel und Adam für die Erde“, erklären die Forscher. Und Gott verhält sich demnach zum Menschen wie das Universum zu Gott. „Das könnte eine ganz neue Dimension in das große Werk des Michelangelo bringen“, sagt De Campos. (Clinical Anatomy, 2015; doi: 10.1002/ca.22580)
(Wiley, 23.07.2015 – NPO)