Unterschätzte Gefahr: Das Gas Schwefelhexafluorid (SF6) treibt die Erderwärmung viel stärker voran als CO2 und bleibt gut 1.000 Jahre in der Atmosphäre. Neue Analysen enthüllen, dass China, die USA und die EU deutlich mehr Schwefelhexafluorid freisetzen als offiziell angegeben. Zwar haben manche Staaten bereits Maßnahmen ergriffen, so dass die Emissionen regional zurückgehen. Doch die globalen SF6-Emissionen steigen.
Das fluorierte Gas Schwefelhexafluorid (SF6) ist ein ausgezeichneter Isolator und kommt daher seit den 1990er Jahren in vielen Produkten vor – vor allem in der Hochspannungsindustrie, aber auch in der Halbleiter-, Aluminium- und Magnesium-Industrie, in Sportschuhen, doppelt verglasten Fenstern, Autoreifen und Klimaanlagen. Das Gas ist nicht brennbar, ungiftig und zerstört nicht die Ozonschicht in der Atmosphäre – ist also harmlos, könnte man meinen.
Doch Schwefelhexafluorid ist auch ein hochpotentes Treibhausgas und klimaschädlicher als alle anderen bisher bekannten Treibhausgase, einschließlich CO2. Zwar stößt die Menschheit erheblich weniger SF6 aus als CO2, ersteres verbleibt jedoch deutlich länger in der Atmosphäre – rund 1.000 Jahre lang. „Das Gas sammelt sich in der Atmosphäre und wird das Klima für Hunderte von Jahren erwärmen – eine Treibhausgas-Zeitbombe“, erklärt Martin Vojta von der Universität Wien.
Wie viel Schwefelhexafluorid stößt die Menschheit aus?
Wie viel SF6 tatsächlich freigesetzt wird, ist allerdings unbekannt. Im Kyoto-Protokoll haben sich die Länder der Vereinten Nationen zwar 1997 verpflichtet, ihre ausgestoßenen Mengen an Treibhausgasen jährlich zu melden, darunter auch die SF6-Emissionen. Beim anschließenden Eintrag in ein internationales Register werden diese nationalen Daten auch mit Hilfe sogenannter Emissionsfaktoren statistisch hochgerechnet, um theoretisch ein akkurates Bild zu erlangen.
Diese Faktoren basieren aber auf Schätzungen und sind oft sehr ungenau. Das liegt zum einen daran, dass illegale Emissionen jeglicher Art nicht gemeldet werden. Zum anderen wird das Hexafluorid oft nicht absichtlich freigesetzt, sondern entweicht aus defekten Produkten oder bei deren unsachgemäßer Entsorgung. Nur wenn in der Industrie etwas schiefgeht, gelangt das Gas also in die Atmosphäre. Da solche Vorfälle ungeplant sind, lassen sich die SF6-Emissionen nur schwer beziffern.
Reality Check der SF6-Emissionen
Wie groß ist also die Lücke zwischen den bekannten und gemeldeten Emissionswerten und den realen SF6-Emissionen? Dieser Frage ist nun ein Team um Vojta nachgegangen. Dafür verwendeten die Klimaforscher Messdaten von weltweiten Wetterstationen und Atmosphären-Messkampagnen, zum Beispiel in Südkorea, Barbados und Teneriffa. Der Schwerpunkt der Forscher lag jedoch auf Europa, China und den USA.
Anhand der Luftströmungen rechneten die Meteorologen dann jeweils bis zu 50 Tage zurück, woher diese Bestandteile kamen, einschließlich des Schwefelhexafluorids. „Wir verfolgten das SF6 sozusagen rückwärts, mittels der so genannten inversen Modellierung, und berechneten, wie viel davon an welchem Ort freigesetzt wurde“, erläutert Seniorautor Andreas Stohl von der Universität Wien.
Länder setzten deutlich mehr SF6 frei als gemeldet
Dabei zeigte sich: In keinem der Länder stimmen die von 2005 bis 2021 gemeldeten SF6-Emissionen mit den realen Messungen überein. So waren in den USA die tatsächlichen jährlichen Emissionen in diesem Zeitraum durchschnittlich doppelt so hoch wie die offiziell gemeldeten. In der EU wurde 2005 beispielsweise circa 40 Prozent mehr SF6 an die Atmosphäre abgegeben als offiziell gemeldet.
„Tatsächlich haben alle Länder ihre Emissionen massiv unterschätzt, und zwar teilweise um mehr als die Hälfte“, erklärt Stohl. Insgesamt identifizierten die Forscher vier Hauptquellen von Schwefelhexafluorid: „Die höchsten SF6-Emissionen sind in den USA, Europa, China und Indien zu verzeichnen, während die Emissionen in Südamerika, Afrika und Australien geringer sind“, schreibt das Team.
F-Gas-Verordnung der EU zeigt Wirkung
Die Analysen enthüllten auch: In Europa und den USA sind die tatsächlichen Schwefelhexafluorid-Emissionen zwischen 2005 und 2021 stark zurückgegangen. So sanken die jährlichen Emissionen in den USA von insgesamt 1.250 Tonnen auf 480 Tonnen und in der EU von 410 Tonnen auf 250 Tonnen. Ein besonders deutlicher Rückgang zeigte sich bei den europäischen Emissionen zwischen 2017 und 2018.
Das ist kein Zufall: Zu dieser Zeit trat die 2014 beschlossene F-Gas-Verordnung der EU in Kraft. Diese Verordnung regelt nicht nur den Einsatz von SF6, sondern auch von Fluorkohlenwasserstoffen (FKWs). „Damit zeigt sich einmal mehr, dass Vorschriften im Umweltbereich auch tatsächlich wirken, ein erfreuliches und auch politisch wichtiges Ergebnis“, sagt Stohl. Die F-Gas-Verordnung reiht sich damit etwa an das Montreal-Protokoll von 1987 an, das Emissionen von Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) regelt und die Ozonschicht nachweislich schützt.
In China und Indien steigen die Emissionen
Der Rückgang der SF6-Emissionen in den USA und der EU ist weltweit betrachtet jedoch leider eher die Ausnahme und fällt angesichts der global steigenden Emissionen nicht besonders stark ins Gewicht. Laut den Analysen vervierfachten sich beispielsweise zwischen 2005 und 2021 die Emissionen des Treibhausgases in China von 1.280 Tonnen auf 5.160 Tonnen. Für Indien lagen zu wenig Zahlen vor, um verlässliche Daten zu berechnen, der Emissionstrend sei dort jedoch ebenfalls stark steigend, so das Team.
Um den Klimawandel zu stoppen, müssten nach Ansicht der Forscher daher auch weitere Länder die Verwendung von Schwefelhexafluorid rasch beschränken. „Wir brauchen in China, aber auch in Indien und anderen ostasiatischen Ländern dringend strenge Vorschriften, um den globalen Anstieg zu begrenzen“, fordert Stohl.
Mehr Messstationen sollen Klarheit schaffen
Die Studie hat aber auch weiterhin Messlücken. Um die globalen SF6-Emissionen noch besser überwachen zu können, sind demnach weitere Messstationen nötig, beispielsweise in Indien, Afrika oder Südamerika. „So kämen wir zu wesentlich genaueren Ergebnissen und könnten die regionalen Emissionen dieses Treibhausgases noch genauer einschätzen“, sagt Vojta. (Atmospheric Chemistry and Physics, 2024; doi: 10.5194/acp-24-12465-2024)
Quelle: Universität Wien