Versunkenes Land: Während der Eiszeit gab es im Norden Australiens eine riesige Landfläche, die bis nach Neuguinea reichte. Dieser „Sahul“ getaufte Kontinentteil könnte vor rund 65.000 Jahren eine entscheidende Rolle für die erste Besiedlung Australiens gespielt haben. Später, während der Eiszeit, wurde das von Flüssen, Schluchten und einem großen See durchzogene Land zu einem Refugium für bis zu 50.000 Menschen, wie Forschende ermittelt haben. Doch nach Ende der Eiszeit versank Sahul wieder in den Fluten.
Ob Doggerland in der Nordsee oder die Bering-Landbrücke im Nordpazifik: Während der letzten Eiszeit gab es viele Landflächen, die wegen des tiefliegenden Meeresspiegels freilagen – aber seither in den Fluten versunken sind. Viele dieser Landschaften wurden für die Menschen und Tiere der Eiszeit zu wichtigen Refugien und Verbreitungswegen: Die meist von milderem Klima geprägten Landbrücken und Küstengebiete boten Zuflucht vor Gletschern, Kälte und unwirtlichen Bedingungen.
400.000 Quadratkilometer versunkenes Land
Einen dieser versunkenen Landstriche lag im Norden Australiens: die Landmasse von Sahul. Sie liegt auf dem heute überfluteten Kontentalschelf Australiens und reichte von der heutigen Nordküste des Kontinents bis zu 500 Kilometer weit nach Norden. Während der Eiszeit verband diese Landmasse Australien mit Neuguinea und überbrückte auch das heutige Meeresgebiet zwischen den australischen Küstenregionen Kimberley und Arnhem Land.
„Die heute versunkene Landmasse von Sahul erstreckte sich einst über rund 400.000 Quadratkilometer“, berichten Kasih Norman von der Griffith University in Queensland und seine Kollegen. Damit war dieser verlorene Teil des australischen Kontinents fast so groß wie die gesamte Ostsee und eineinhalbmal so groß wie Großbritannien. Wann genau diese Landmasse während der letzten 130.000 Jahre frei lag, wie es dort aussah und welche Rolle sie bei der Besiedlung Australiens gespielt haben könnte, hat das Team um Norman jetzt mithilfe von hochauflösenden bathymetrischen Daten und Klimamodellen untersucht.
Aufgetauchte Inseln als „Trittsteine“ für erste Einwanderer
Die Analysen enthüllten: Bis vor rund 70.000 Jahren war die Sahul-Landmasse überflutet und die Küstenlinien Nordaustraliens ähnelten den heutigen. Doch dann gab es eine erste Phase der Klimaabkühlung und Vereisung, durch die der Meeresspiegel um rund 40 Meter absank. Dies legte die Hochplateaus von Sahul frei, die als Inselgruppen aus dem Wasser ragten. „Dies war das erste Mal, dass die Meeresspiegel weit genug fielen, um die Archipel-Bildung auf dem Nordwest-Schelf Australiens zu erlauben“, berichten die Forschenden.
Das Spannende daran: Dieses Auftauchen einer neuen Inselwelt nördlich von Australien könnte eine entscheidende Rolle für die Besiedlung des Kontinents gespielt haben. Denn die Inseln boten den vor rund 65.000 Jahren eintreffenden Vertretern des Homo sapiens gewissermaßen „Trittsteine“ bei ihrem Weg von Eurasien über Ozeanien nach Australien. „Die Präsenz dieses ausgedehnten Archipels erleichterte den ersten menschlichen Seefahrern wahrscheinlich den Weg von Wallacea – dem Gebiet des heutigen Indonesiens nach Süden“, erklärt Norman.
Die Archipele des Sahul-Gebiets könnten für viele der ersten menschlichen Einwanderer ein vertrauter Lebensraum gewesen sein, da sie zuvor in der Inselwelt Indonesiens lebten, wie Norman erklärt. Doch als dann vor rund 60.000 Jahren die Sahul-Inseln allmählich wieder untergingen, trieb dies die Einwanderer vermutlich weiter aufs australische Festland – und löste dann dort die erste Einwanderungswelle aus. Von dieser zeugt eine vor rund 65.000 Jahren beginnende Häufung von Felsbildern und archäologischen Relikten im Norden Australiens.
Eiszeit-Refugium: Schluchten, Klippen und ein großer See
Vor rund 30.00 Jahren – nach einer längeren Phase wechselnder Überflutungen und Pegelsenkungen – folge eine zweite wichtige Phase für Sahul und die ersten Australier: Auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit sank der Meeresspiegel um bis zu 120 Meter und legte die gesamte Landmasse von Sahul frei. Die Nordküste Australiens verlagerte sich dadurch um 500 Kilometer nach Norden und bildete eine riesige Landbrücke. Sie könnte damals zu einem wertvollen, weil von milderem Klima geprägten Refugium für die eiszeitlichen Besiedler geworden sein.
Auch die Landschaft des eiszeitlichen Sahul kam einer Besiedlung entgegen, wie die bathymetrischen Messungen und Modelle nahelegen. So gab es auf der Landmasse ein Binnenmeer von der Größe des Marmarameeres, aber auch einen mehr als 2.000 Quadratkilometer großen Süßwassersee. Dieser von Norman und seinem Team „Lake Kimberley“ getaufte See wurde von mindestens vier großen Flüssen gespeist und könnte rund 16.000 Jahre lang existiert haben.
„Der See und das Binnenmeer waren von tiefen Schluchten und steilen Klippen eingerahmt, die den Menschen damals als Refugien dienten“, berichten die Forschenden. Ihren Berechnungen nach könnte die vielfältige Landschaft von Sahul damals genügend Ressourcen für bis zu 50.000 Menschen geboten haben.
Als Sahul endgültig versank
Doch nach Ende der Eiszeit stiegen die Meeresspiegel erneut an. Als Folge versank Sahul in zwei Schritten – erst vor rund 14.000 Jahren, dann endgültig vor rund 9.000 Jahren – in den Fluten. Ähnlich wie schon beim Versinken der Sahul-Inselwelt einige zehntausend Jahre früher wurden die Bewohner dieses Landstrichs erneut auf das australische Festland getrieben. „Auch in dieser Phase gab es in Kimberley und dem Westen von Arnhem Land deutliche Peaks archäologischer Funde und neue Stile von Felsbildern traten auf“, berichten Norman und sein Team.
Nach Ansicht der Forschenden unterstreichen diese Ergebnisse, welch wichtige Rolle die heute versunkenen Kontinentränder für die Ausbreitung und frühe Geschichte des Menschen gespielt haben könnten. Dies gelte nicht nur für Australien, sondern weltweit, so das Team. Eine genauere Erkundung der unterseeischen Topografie könne daher auch anderswo lohnend sein. (Quaternary Science Reviews, 2023; doi: 10.1016/j.quascirev.2023.108418)
Quelle: Griffith University