Die in der Medizin gefürchteten Resistenzen gegen Antibiotika kommen in der Natur offenbar häufiger vor als bislang angenommen: Selbst Bakterien, die seit vier Millionen Jahren vollkommen isoliert in den Tiefen unterirdischer Höhlen leben, besitzen Werkzeuge, mit denen sie Antibiotika unschädlich machen können. Das haben US-amerikanische und kanadische Forscher jetzt in New Mexico entdeckt. Der Fund helfe zum einen, zu verstehen, wie diese Resistenzen entstehen und sich ausbreiten, sagt das Team. Zum anderen deute er aber auch darauf hin, dass es eine Fülle von bisher unbekannten antibiotisch wirkenden Substanzen in der Natur gibt. Über ihre Entdeckung berichten Gerry Wright von der McMaster University im kanadischen Hamilton und seine Kollegen im Fachmagazin „PLoS One“.
Resistente Bakterien machen Ärzten auf der ganzen Welt zunehmend zu schaffen. Die zentrale Frage dabei: Hat der massenhafte Einsatz von Antibiotika in den vergangenen Jahrzehnten die Resistenzen erzeugt? Oder gab es von jeher Resistenzgene im Erbgut von Bakterien, die sich in der letzten Zeit lediglich rasant ausbreiteten? Frühere Studien hatten für beide Annahmen Argumente geliefert, krankten aber alle an einer grundlegenden Schwierigkeit: Der Gebrauch von Antibiotika in Landwirtschaft und Medizin ist heute so umfassend, dass es sehr schwierig ist, Mikrobengemeinschaften zu finden, die ihnen nicht auf die eine oder andere Weise ausgesetzt waren.
Millionen Jahre ohne Kontakt zur Oberfläche
Genau das scheint Gerry Wright und seinen Kollegen nun jedoch gelungen zu sein: Ihre Proben stammen aus der Lechuguilla-Höhle im Süden des US-Bundesstaates New Mexico, einem riesigen labyrinthartigen Höhlensystem, das über 500 Meter unter die Erde reicht und sich über mehr als 200 Kilometer erstreckt. Seit seiner Entdeckung im Jahr 1986 haben nur einzelne Forschergruppen Zutritt. Zudem liegt es unter einer dichten Schicht von Schluffstein, die praktisch kein Wasser durchlässt. Manche Teile in der Höhle sind daher seit mindestens vier Millionen Jahren nicht mehr mit der Oberfläche in Kontakt gekommen, erläutert das Team.
Für ihre Studie setzten die Forscher setzten insgesamt 93 in der Höhle entnommene Mikrobenproben 26 gängigen Antibiotika aus. Das Ergebnis: Fast alle Bakterienstämme waren gegen mindestens eins, die meisten sogar gegen drei bis vier der Medikamente resistent. Drei der Stämme besaßen Resistenzen gegen ganze 14 Wirkstoffe.
Die Fähigkeit, Antibiotika unschädlich zu machen, ist demnach ein ganz zentrales, uraltes Merkmal von Bakterien, schlussfolgern die Forscher. Interessant seien dabei vor allem die Mechanismen, die die Höhlenbakterien verwendeten. So nutzten einige Stämme beispielsweise eine bisher unbekannte Schwachstelle eines recht neuen, momentan noch sehr wirksamen Antibiotikums, um das Gift zu entschärfen. Es sei wahrscheinlich, dass diese Art der Resistenz irgendwann auch bei Krankheitserregern auftrete, schreiben die Forscher. Als nächstes wollen sie in der Höhle gezielt nach Substanzen suchen, die wie Antibiotika wirken. Sie könnten unter anderem von dortigen Mikroben oder Pilzen produziert werden. Denn eine solche Vielfalt von Resistenzen kann sich nach Ansicht der Wissenschaftler nur dort etablieren, wo es auch tatsächlich einen Grund gibt, sie aufrechtzuerhalten. (doi:10.1371/journal.pone.0034953).
(PLoS Pathogens, 12.04.2012 – ILE)