Die Zeiten extrem niedriger Geburtenraten von unter 1,3 Kindern pro Frau in den Industrieländern sind vorbei. Wie Wissenschaftler jetzt gezeigt haben, kehrte sich der bisherige Trend zu immer weniger Babys um. Der Grund: Eltern schieben die Geburt ihrer Kinder weniger stark auf als früher – hauptsächlich motiviert durch die Wirtschaftsentwicklung. Die Forscher gehen in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Population and Development Review“ zudem davon aus, dass die Zahlen der Kinder pro Frau auch künftig weiter steigen werden.
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Noch 2002 waren die Geburtenraten in 16 europäischen Ländern niedriger als 1,3, im Jahr 2008 dagegen unterschritt nur noch eins – Moldawien – diese Marke. Die Zahlen stiegen zum Teil sogar beachtlich, etwa in Ostdeutschland: Seit dem Minimum im Jahr 1994 – 0,77 Kinder pro Frau – bis 2008 um ganze 0,63 Punkte. Mit 1,4 Kindern pro Frau liegt das Level dort nun bereits über dem Westdeutschlands (1,37).
Keine Bevölkerungsimplosion in Sicht
„Die Angst vor einer Bevölkerungsimplosion, die während der extrem niedrigen Geburtenraten der 90er-Jahre aufkam, ist unbegründet“, sagt Joshua R. Goldstein vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock (MPIDR), der zusammen mit Tomáš Sobotka vom Wiener Institut für Demografie und Aiva Jasilioniene vom MPIDR die jüngste Entwicklung der Geburtenraten analysiert hat.
Zwar liegen die Ziffern immer noch unter den 2,1 Kindern pro Frau, die nötig wären, um die Größe einer Bevölkerung ohne Wanderungseinflüsse aufrecht zu erhalten. Aber: „Zum ersten Mal seit dem Baby-Boom in den 60er-Jahren nehmen die Geburtenraten gleichzeitig in den entwickelten Ländern rund um die Welt zu“, sagt Demograf Goldstein.
Extrem niedrige Geburtenraten nur Übergangseffekt
Für den Max-Planck-Forscher erweisen sich die extrem niedrigen Geburtenraten damit als Übergangseffekt: Hervorgerufen dadurch, dass immer mehr Eltern immer später Kinder bekamen. Die Mathematische Formel für die stets aktuell berechnete Geburtenrate lässt deren Wert umso niedriger ausfallen, je stärker die Eltern aufschieben. Nun, da die Tendenz zur immer späteren Geburt abflaut, erholen sich auch die Geburtenraten.
In diesem Sinn waren die extrem niedrigen Ziffern nach Ansicht der Wissenschaftler ein vor allem rechnerischer Effekt: Die Zahl der tatsächlich Neugeborenen war zwar in den 90er-Jahren ebenso stark reduziert wie die zusammengefasste Geburtenziffer. Doch im Lauf ihres Lebens bekommt jede Frauen mehr Kinder, als es die niedrigen Geburtenraten glauben ließen.
„Vermutlich liegen die endgültigen Werte in fast allen Ländern mit ehemals extrem niedrigen Raten zwischen 1,5 und 1,8 Kindern pro Frau“, sagt Goldstein. In der öffentlichen Debatte wurde dieser Zusammenhang oft übersehen und niedrige Raten auch für die Zukunft angenommen.
Jobsituation für Geburtenverhalten wichtiger als Familienpolitik
Die Demografen untersuchten in ihrer neuen Studie auch, inwieweit wirtschaftliche und politische Gründe die Eltern dazu bringen, den aufgeschobenen Kinderwunsch nun doch umzusetzen. Ihre Daten aus der Zeit vor der momentanen Finanz- und Wirtschaftskrise zeigen: Die Jobsituation beeinflusst die Eltern am stärksten. In einigen Ländern wie Spanien oder Polen begannen die Geburtenraten genau dann wieder nach oben zu klettern, als dort die Arbeitslosenzahlen zurückgingen.
Schlechte Aussichten auf dem Arbeitsmarkt bewirkten offenbar das Gegenteil: In acht von neun Ländern waren die Raten zuvor gefallen, während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit gestiegen war. Doch wirtschaftliche Faktoren können das Geburtenverhalten nach Angaben der Forscher nicht allein erklären: In Ungarn etwa stieg die Geburtenziffer, obwohl die Arbeitslosigkeit zunahm.
Baby-Bonus wirksam
Ob auch Familienpolitik höhere Geburtenraten bewirkt, lässt sich mit den neuen Zahlen nicht eindeutig belegen. In einzelnen Ländern scheint es einen positiven Zusammenhang zu geben: Nachdem etwa Spanien 2007 einen Baby-Bonus von 2.500 Euro pro Neugeborenem eingeführt hatte, stieg die Zahl der Kinder pro Frau 2008 vergleichsweise stark – um fünf Prozent. Ähnliche, wenngleich schwache und wahrscheinlich vorübergehende Effekte sind aus Russland, Singapur und Australien bekannt.
In Tschechien hingegen führten neue, finanziell großzügigere Regeln wie höheres Elterngeld nicht zu bemerkenswerten Veränderungen: Die Geburtenraten stiegen bereits ab 2003, obwohl entscheidende politischen Maßnahmen erst 2005 beschlossen wurden und ab 2007 richtig griffen. Auch in anderen Ländern zeigte Familienpolitik kaum Wirkung, so die Wissenschaftler.
„Um klar sagen zu können, ob und wie politische Maßnahmen wirken, muss weiter erforscht werden, welchen Einfluss anderen Faktoren gleichzeitig haben, und wie sie zusammenhängen“, sagt Goldstein.
(MPG, 09.12.2009 – DLO)