Es traf Wale, Meeresvögel, Schildkröten und den berühmten Riesenhai: Vor gut zwei Millionen Jahren ließ ein zuvor unerkanntes Massenaussterben ein Drittel aller großen Meerestiere aussterben. Rund die Hälfte der Meeressäuger starb dabei und mehr als 40 Prozent aller Meeresschildkröten, wie eine Studie enthüllt. Der Hauptgrund für das Aussterben ist vermutlich das Schrumpfen der küstennahen Flachwasserzonen durch sinkende Meeresspiegel, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Ecology & Evolution“ berichten.
Als vor gut zwei Millionen Jahren das Eiszeitalter begann, veränderten die Kaltzeiten nicht nur das Klima an Land. Auch die Meeresspiegel sanken und veränderten Meeresströmungen und Küstengebiete weltweit. Die marine Tierwelt jedoch schien diesen Wandel weitgehend überstanden zu haben – so glaubte man bisher. Zwar starben einige große Meerestiere damals aus, darunter die Seekühe des Mittelmeeres und der Riesenhai Carcharocles megalodon. Doch dies galt bisher eher als normaler Lauf der Evolution oder als lokale Aussterbe-Ereignisse.
Drastischer Schwund – weltweit
Doch das entpuppt sich nun als Irrtum. Denn wie Catalina Pimiento von der Universität Zürich und ihre Kollegen herausfanden, hat es vor rund zwei Millionen Jahren ein echtes weltweites Massenaussterben gegeben. Wie der systematische Vergleich der Aussterberaten vor, während und nach dieser Zeitperiode ergab, traf diese zuvor unerkannte biologische Katastrophe vor allem große Meerestiere wie Wale, Schildkröten, Meeresvögel, aber auch Haie.
„Wir konnten aufzeigen, dass etwa ein Drittel der marinen Megafauna vor rund drei bis zwei Millionen Jahren verschwand“, berichtet Pimiento. Demnach verloren Meeressäuger rund 55 Prozent ihrer Artenvielfalt, die Meeresschildkröten büßten 43 Prozent der Arten ein. Unter den Meeresvögeln verschwanden 35 Prozent der Arten und bei den Haien neun Prozent. Die genetische Vielfalt der Megafauna sank dadurch weltweit um 15 Prozent ab, wie die Forscher berichten.
Schwund der Küstenmeere
Aber warum? Nähere Untersuchungen enthüllten, dass viele der betroffenen Tierarten in den flachen Küstenmeere der Schelfgebiete lebten. Doch genau diese küstennahen Zonen veränderten sich zu Beginn des Pleistozän vor gut zwei Millionen Jahren besonders stark: Das beginnende Eiszeitalter löste eine globale Abkühlung aus und ließ den Meeresspiegel sinken.
Genau dies aber könnte für die marine Megafauna fatal gewesen sein. Denn dadurch schrumpfte plötzlich ihr Lebensraum, die flachen Schelfmeere, stark zusammen. „Damals verringerte sich die Flachwasserfläche von 79,1 Millionen Quadratkilometer im Pliozän auf nur noch 57,9 Millionen Quadratkilometer im Pleistozän – dies entspricht einer Abnahme um 27 Prozent“, berichten Pimiento und ihre Kollegen.
Warum der Riesenhai verschwand
Zusammen mit den Veränderungen der Meeresströmungen und der Produktivität der Ozeane könnte dieser Verlust des Lebensraums das Massenaussterben am Ende des Pliozäns verursacht haben, erklären die Forscher. Wie sie ermittelten, verloren damals die Küstenökosysteme sieben funktionelle Einheiten und damit wichtige ökologische Funktionen. Bisher übliche Beutetiere fielen weg, neue Konkurrenten tauchten auf und die Meerestiere mussten sich anpassen.
Diese Vorgänge könnten auch erklären, warum der Riesenhai Carcharocles megalodon vor rund 2,6 Millionen Jahren ausstarb. Er wurde bis zu 18 Meter lang und war damit der größte Hai der Erdgeschichte. Im Jahr 2016 hatten Forscher bereits festgestellt, dass allein die Temperaturveränderungen zu Beginn des Pleistozäns nicht erklären können, warum diese Haiart ausstarb. Der vom Aussterben verursachte Beutemangel und der veränderte Lebensraum jedoch könnten das Verschwinden dieses Mega-Prädators verursacht haben.
„Unsere Modelle ergaben, dass besonders Warmblüter mit hohem Energiebedarf eine größere Aussterbewahrscheinlichkeit hatten“, erklärt Pimiento. „So verschwanden etwa diverse Seekuh- und Bartenwalarten sowie der Riesenhai Carcharocles megalodon.“
Lehren für die Gegenwart
Gleichzeitig enthüllt die Studie, dass die großen Meerestiere und vor allem die Meeressäuger sensibler auf Umweltveränderungen reagieren als bisher angenommen. Das wiederum wirft auch ein neues Licht auf die Anfälligkeit dieser Tierarten gegenüber dem aktuellen Klimawandel: „Wenn sich der anthropogenen Klimawandel weiter beschleunigt und die Küstenökosysteme verändert, sollten die potenziellen Folgen für die marine Megafauna nicht unterschätzt werden“, warnen die Forscher. (Nature Ecology & Evolution, 2017; doi: 10.1038/s41559-017-0223-6)
(Universität Zürich, 27.06.2017 – NPO)