Chronik an der Höhlenwand: Graffiti in einer chinesischen Höhle geben einen spannenden Einblick in Geschichte und Klima des alten China. Denn die Texte an den Wänden beschreiben Ereignisse aus den letzten 500 Jahren. Insgesamt sieben Trockenzeiten lassen sich anhand der Inschriften rekonstruieren – und sie geben wertvolle Informationen darüber, warum einige chinesische Dynastien stürzten, berichten die Forscher im Fachmagazin „Scientific Reports“.
Entdeckt wurden die historischen Graffiti in der Dayu-Höhle am Südrand der zentralchinesischen Qin Ling Berge. In dieser stark vom Monsun geprägten Region fallen drei Viertel des jährlichen Regens innerhalb der wenige Monate langen Regenzeit – bleibt diese aus oder bleibt spärlich, droht eine Dürre. Für die Versorgung des Riesenreichs waren die resultierenden Ernteausfälle fatal.
Wassersuche und Gebete um Regen
Schon früher vermuteten Historiker, dass der Niedergang einiger chinesischer Dynastien, darunter der Tang, Yuan und Ming-Herrscher mit solchen Trockenperioden zusammenhängt. Beweisen ließ sich das bisher jedoch nicht. Liangcheng Tan von der chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking und seine Kollegen haben nun mit den Inschriften der Dayo-Höhle erstmals handfeste Indizien für dürren und ihre sozialen Auswirkungen entdeckt.
Die Blöcke von Schriftzeichen an den Höhlenwänden stammen aus den letzten rund 500 Jahren. „Die Texte deuten darauf hin, dass Menschen aus der Umgebung diese Höhle häufig aufsuchten, mindestens 70 Mal in der Zeit zwischen 1520 und 1920“, berichten die Forscher. Den Grund für diese Besuche enthüllt der Inhalt der fast schon chronikartig sachlichen und allesamt datierten Inschriften:
Sieben große Dürren
So heißt es in einem Text aus dem Jahr 1596: „Am 3. Juli im 24. Jahr der Herrschaft von Kaiser Wangli aus der Ming Dynastie, kamen lokale Einwohner zur Höhle, um Wasser zu holen wegen der großen Dürre.“ In einem anderen aus dem Jahr 1891 steht geschrieben: „Der lokale Bürgermeister Huaizong Zhu führte mehr als 200 Menschen in die Höhle um Wasser zu holen. Ein Wahrsager namens Zhenrong Ran betete während einer Zeremonie um Regen.“
„Es ist außergewöhnlich, so etwas wie diese datierten Inschriften in einer Höhle zu finden“, sagt Tan. „Normalerweise findet man nur menschliche Relikte, Töpferwaren oder Werkzeuge.“ Anhand der Inschriften identifizierten die Forscher sieben schwerwiegende Dürreperioden in den Jahren 1528, 1596, 1707, 1756, 1839, 1891 und 1894. In diesen Zeiten konnte zumindest die lokale Bevölkerung einen Teil ihres Wasserbedarfs aus den unterirdischen, vom Grundwasser des karstigen Gebirges gespeisten Seen der Höhle decken.
Soziale Unruhen und Hungersnöte
Die Folgen dieser Trockenzeiten waren enorm und führten zu schwerwiegenden Problemen im chinesischen Reich, wie historische Dokumente belegen: „Die Dürre von 1528 führte beispielsweise zu ‚einer großen Hungersnot und Kannibalismus‘ von der südlichen Shaanxi Provinz bis zur östlichen Gansu Provinz“, zitieren die Forscher solche Dokumente. 1596 sorgte die Dürre für Unruhen in der Bevölkerung und gesellschaftliche Probleme.
Um 1890 herum führten Dürren ebenfalls zu schweren Hungersnöten und lösten soziale Unruhen aus. Diese führten schließlich zu einem heftigen Konflikt zwischen Regierung und Zivilisten im Jahr 1900. „Unsere Daten liefern Belege dafür, dass selbst mäßige Dürren während normalerweise eher feuchter Klimaphasen schwerwiegende soziale Konsequenzen hatten“, sagen die Forscher.
Klimadaten bestätigen Dürren
Dies spiegelt sich auch in den Klimadaten wider, die in den Stalagmiten der Höhle konserviert wurden. In ihnen bilden die Kalkablagerungen Schichte ähnlich der Jahresringe von Bäumen. Anhand der Isotopenzusammensetzung dieser Schichten lässt sich das Klima der entsprechenden Zeit rekonstruieren. „Die Dayu-Höhle ermöglicht uns zum ersten Mal einen Vergleich von historischen Aufzeichnungen und speleothermischen Daten am gleichen Ort“, sagen die Forscher.
Die Rekonstruktion bestätigt die sieben in den Inschriften erwähnten Dürreperioden – und sie verrät, warum gerade die Trockenzeit von 1596 so gravierende soziale Auswirkungen hatte. Denn zwischen 1530 und 1685 herrschte in dieser Region ein eher feuchtes Klima, die Menschen waren daran gewöhnt, ausreichend Wasser zu haben, wie die Forscher berichten. Als dann um 1596 mehrfach hintereinander die Regenzeit ausfiel, traf es die Bevölkerung umso härter. „Die Berge weinen wegen der Dürre“, heißt es in einem historischen Dokument.
Klima fördert und fällt Herrscher und Kulturen
Nach Ansicht der Forscher stützen ihre Ergebnisse auch die Vermutungen, dass zumindest einige chinesische Dynastien wegen des Klimas stürzten. „Neben den offensichtlichen Auswirkungen von Dürren werden sie auch immer wieder mit dem Niedergang von Kulturen verknüpft“, sagt Koautor Sebastian Breitenbach von der University of Cambridge. „Wenn Menschen nicht genug Wasser haben, leiden sie Not und Konflikte entstehen.“
Tatsächlich zeigen Studien, dass Klimaveränderungen zumindest mit Schuld waren beispielsweise am Niedergang der Assyrer, der Maya in Mittelamerika und der Indus-Hochkultur. Umgekehrt profitierten dafür die Mongolen unter Dschingis Khan von einem ungewöhnlichen milden und feuchten Klima, das ihnen ihren Siegeszug über die halbe Welt ermöglichte. (Scientific Reports, 2015; doi: 10.1038/srep12284)
(University of Cambridge, 14.08.2015 – NPO)