Ein Computer als Schiedsrichter: Die Dinosaurier wären wahrscheinlich auch ohne den berühmten Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren ausgestorben, wie nun ein Computermodell praktisch ohne menschliches Zutun ermittelt hat. Demnach hätte auch die massive vulkanische Aktivität in Westindien damals ausgereicht, um den Dinosauriern ein Ende zu bereiten, wie die Entwickler des Modells in „Science“ berichten. Dies könnte die langanhaltende Debatte um die ausschlaggebende Ursache dieses Massenaussterbens klären helfen.
Warum sind die Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren ausgestorben? War es der Einschlag des Chicxulub-Asteroiden im heutigen Mexiko, eine Reihe massiver Vulkanausbrüche im westindischen Dekkan-Trapp oder sogar beides? In allen Szenarien wäre nach gängiger Lehrmeinung die Freisetzung erheblicher Kohlen- und Schwefeldioxid-Mengen für das Aussterben der Dinosaurier verantwortlich gewesen. Denn die veränderte Atmosphärenzusammensetzung hätte dafür gesorgt, dass sich extreme Kälte- und Hitzephasen abwechseln und die Nahrungsketten dadurch zusammenbrechen.
Ein Computer als Streitschlichter
Während klar ist, dass massive Änderungen der Umweltbedingungen zum Ende der Dinosaurier führten, streiten Wissenschaftler bis heute erbittert darum, welches konkrete Ereignis die globale Katastrophe ausgelöst hat. Da die Fronten bei der Debatte mittlerweile verhärtet sind und es auch immer wieder persönlich zugeht, haben Alexander Cox und Brenhin Keller vom amerikanischen Dartmouth College nun einen neutralen Streitschlichter ins Leben gerufen.
Die Idee: Ein unvoreingenommener Computer und kein Mensch soll nach dem Grund für das Massenaussterben am Ende der Kreidezeit suchen. Um diesen Ansatz in die Realität umzusetzen, kehrten Cox und Keller ein Computermodell des irdischen Kohlenstoffkreislaufs, das normalerweise die Zukunft prognostiziert, so um, dass es rückwärtslief. Dadurch konnte es anhand gegebener Umweltbedingungen ermitteln, welches Ereignis diese verursacht haben könnte.
Konkret fütterten Cox und Keller fast 130 miteinander verbundene Prozessoren mit Unmengen von geologischen und klimatischen Daten aus der Zeit des Massenaussterbens vor 66 Millionen Jahren und ließen den Computer dann den wahrscheinlichsten Grund für die Entstehung dieser Umweltbedingungen ermitteln. „Das Modell zeigt uns, wie wir zu dem gekommen sind, was wir in den geologischen Aufzeichnungen sehen“, erklärt Cox.
Hätte es den Asteroiden gar nicht gebraucht?
Wer also war der Dinokiller? Nach über 300.000 durchgespielten Szenarien kam das Computermodell zu dem Schluss, dass sowohl der Asteroid als auch die Vulkane Anteil am Tod der Dinosaurier hatten. Aber: Die vulkanischen Gase des westindischen Dekkan-Trapps hätten wahrscheinlich auch allein ausgereicht, um ein globales Massensterben auszulösen. Während seiner eine Million Jahre andauernden Eruptionen setzte das Vulkangebiet demnach schätzungsweise 10,4 Billionen Tonnen Kohlendioxid und 9,3 Billionen Tonnen Schwefel in die Atmosphäre frei. Genug, um dem irdischen Leben derart unwirtliche Bedingungen zu bescheren, dass ein Großteil davon ausstirbt.
Vor 66 Millionen Jahren – inmitten der Vulkanausbrüche – beschleunigte der Einschlag des Chicxulub-Asteroiden dann lediglich das ohnehin vom Dekkan-Trapp ausgehende Massenaussterben, wie Cox und Keller rekonstruierten. Das Computermodell zeigte rund um den Moment des Einschlags einen steilen Rückgang der organischen Kohlenstoff-Ablagerungen in der Tiefsee, was den Forschern zufolge darauf hindeutet, dass der Asteroid das Aussterben zahlreicher Tier- und Pflanzenarten verursacht hat.
Einschlag hatte eher kurzfristige Effekte
Allerdings waren die Auswirkungen des Asteroideneinschlags dem Modell zufolge schwächer und kurzlebiger als bisher angenommen. Demnach stiegen die Emissionen von Kohlenstoff und Schwefeldioxid zum Zeitpunkt des Einschlags nur wenig an und verursachten daher wahrscheinlich auch nur einen kurzen globalen Einschlags-Winter mit eisigen Temperaturen und abgeblockten Sonnenstrahlen. Glaubt man dem Computer, so tötete Chicxulub demnach eher durch die direkten Folgen seines Einschlags und weniger durch langfristige Veränderungen der Atmosphäre.
Auch wenn die Berechnungen des Computermodells keine finalen, allgemeingültigen Antworten liefern, weil wir ständig neue Erkenntnisse zur damaligen Situation gewinnen, ist Cox äußerst zufrieden mit dessen Arbeit: „Am ermutigendsten ist, dass die von uns erzielten Ergebnisse im Großen und Ganzen physikalisch plausibel sind, was beeindruckend ist, wenn man bedenkt, dass das Modell ohne stärkere vorherige Einschränkungen technisch völlig aus dem Ruder hätte laufen können.“
Weitere Anwendungen denkbar
Der Forscher kann sich daher gut vorstellen, das Konzept künftig auch auf andere geologische Phänomene zu übertragen, deren genaue Ursache strittig ist. „Jedes Erdsystem, bei dem wir die Wirkung, aber nicht die Ursache kennen, ist reif für eine Umkehrung. Je besser wir den Output kennen, desto besser können wir den Input charakterisieren, der ihn verursacht hat“, so Cox. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.adh3875)
Quelle: Dartmouth College, American Association for the Advancement of Science (AAAS)