Das bisher beste Archiv der Meeresspiegelschwankungen der letzten 23.000 Jahre weltweit haben Wissenschaftler in Korallenproben aus Tahiti gefunden. Von ihrer vollständigen Analyse erwarten die Wissenschaftler präzise Aussagen über Änderungen seit der letzten Eiszeit von Meeresspiegel, Temperatur- und Salzgehalt des südlichen Pazifik und Klimaphänomenen wie El Nino. Die beprobten Kerne stammen von einer Expedition im Rahmen des Integrierten Ozean-Bohrprogramms (IODP) im Herbst 2005 und wurden nun teilweise an der Universität Bremen untersucht.
Säge, Lupe, Laptop waren drei Wochen lang wichtigstes Werkzeug des Teams unter der wissenschaftlichen Leitung von Gilbert Camoin vom französischen Geowissenschaftsforschungszentrum CEREGE und Yasufumi Iryu von der Universität Tohoku in Japan. Die 26 Forscherinnen und Forscher aus zehn Nationen arbeiteten in zwei Schichten und sind mit den Ergebnissen sehr zufrieden: “Tahiti lieferte uns einen Datenschatz, in dem die Meeresspiegeländerungen der Vergangenheit aufgezeichnet sind“, so Camoin. „Da Korallen extrem sensibel auf klimatische Veränderungen reagieren, sind wir in der Lage, bessere, sehr genaue Daten zum Riffwachstum während des Meeresspiegelanstiegs nach dem Höhepunkt der letzten Eiszeit vor 23.000 Jahren zu erhalten.“
Die fossilen Korallen vor Tahiti haben die Hoffnungen der Forscher voll erfüllt. Die Forscher hatten diesen Ort gewählt, da Tahiti als relativ stabile Vulkaninsel mit einer gleichmäßigen Geschwindigkeit von 0,25 mm pro Jahr absinkt. Außerdem schließt seine Lage im Südpazifik direkte Einflüsse durch das Abschmelzen der eiszeitlichen Gletscher aus.
Korallen offenbaren Paläoklima
Zwar bestehen nur rund fünf Prozent der Bohrkerne aus massiven Korallenproben, doch die Forscher sind mit dieser Ausbeute mehr als zufrieden. „Der längste durchgehende Korallenbohrkern, den wir bergen konnten, misst 3,5 Meter“, lobt Yasufumi Iryu die Qualität der gewonnenen Bohrkerne. “Das entspricht etwa 350 Jahre Korallenwachstum.“ „Unser Ziel, hoch auflösende Paläoklimadokumente zu gewinnen, wurde voll erreicht“, bestätigt Camoin. Als lückenlose und zuverlässige Klimadokumente stehen massive Korallenproben bei den wissenschaftlichen Forschern hoch im Kurs.
Etwa ein Zentimeter Kalkskelett bilden sie im Jahr, jeweils bestehend aus einem hellen und einem dunklen Band, so dass das Alter der Korallen mit radiometrischen Methoden auf etwa 30 Jahre genau bestimmt werden kann. Geringfügige Veränderungen in der Zusammensetzung des Kalks speichern detaillierte Informationen über Klimaschwankungen. Bis allerdings dieses Altersmodell des gewonnenen Materials vollständig erstellt ist, dauert es wohl noch ein Jahr.
Auf der Spur von El Niño
Auch für Iryu, Spezialist für El Niño-Anomalien, sind die Informationen zu Altern und Wassertiefen von den Korallenriffbohrkernen wichtig. Mit ihrer Hilfe kann er verfolgen, wie sich die Häufigkeit und der Umfang klimatischer Unregelmäßigkeiten wie beispielsweise El Niño entwickelt haben.
„Die restlichen 95 Prozent der Kerne bestehen überwiegend aus weniger massiven Korallen, Krusten bildenden Rotalgen, dicken Mikrobenmatten und anderen Organismenresten. Sie liefern uns wertvolle Informationen über das Ökosystem Korallenriff und die vergangenen Umweltbedingungen, wie Nährstoffangebot, Strömungen und Artzusammensetzung“, erklärt Dr. Hildegard Westphal von der Universität Bremen.
Lebende Mikroben untertage
Erstaunlicherweise fanden die Forscher aber nicht nur fossile Mikrobenüberreste tief im Meeresboden, sondern mehrere Meter unter dem Meeresboden in Hohlräumen des Riffs auch lebende Mikroben. Zwar ist schon länger bekannt, dass im Meeresboden Mikroorganismen leben, aber bis jetzt sind in Korallenriffen diese Einzeller noch nicht gefunden worden. Eingefrorene Proben stehen jetzt für die genauere Untersuchung an Land bereit.
Die Meeresspiegel-Expedition nach Tahiti war die zweite europäische Mission, die im Rahmen des Integrierten Ozeanbohr-Programms (Integrated Ocean Drilling Program IODP) vom ECORD Science Operator (ESO) initiiert und organisiert wurde. ECORD steht für European Consortium for Ocean Research Drilling, d.h. Europäisches Konsortium für Wissenschaftliche Meeresbohrungen. Die Universität Bremen ist dank des Bremer Bohrkernlagers – eines von nur drei solcher Lager weltweit – Teil von ESO.
(IODP; Kirsten Achenbach/RCOM, 20.03.2006 – AHE)