Gebirge in Bewegung: Die Alpen wachsen noch immer – sie heben sich im Schnitt um rund 1,8 Millimeter pro Jahr, wie ein neues Modell auf Basis von Langzeitmessdaten enthüllt. Gleichzeitig bewegt sich das Gebirge auch seitwärts: Der östliche Alpenraum driftet mit bis zu zwei Millimetern pro Jahr nach Osten und wird dabei zusammengedrückt und deformiert, wie die Forscher berichten. Antrieb für diese Dynamik ist die anhaltende Kollision und Bewegung der Erdplatten im Untergrund.
Die Alpen zeugen von der stetigen Drift der Kontinente. Denn dieses Gebirge türmte sich auf, als die nach Norden wandernde Afrikanische Erdplatte mit Eurasien zusammenstieß. Vor rund 30 Millionen Jahren begannen sich dabei Teile der Erdkruste aufzuwölben und die Alpen wuchsen in die Höhe. Teile des Gebirges schnellten dabei sogar ruckartig in die Höhe. Weil die Plattenbewegung bis heute anhält, sind auch die Alpen bis heute in Bewegung.
Messungen im 15-Sekunden-Takt
Wie stark sich das Gebirge bewegt, haben nun Forscher um Laura Sanchez vom Deutschen Geodätischen Forschungsinstitut in München erstmals flächendeckend sichtbar gemacht. Für ihr neues Alpenmodell werteten sie zwölf Jahre an Messdaten von mehr als 300 GPS-Antennen im Alpenraum aus. Jede dieser Stationen führt im 15-Sekunden-Takt Positionsbestimmungen durch
„Bisherige Auswertungen waren auf einzelne Regionen beschränkt. Unser Modell reicht von den Seealpen bis nach Wien und umfasst damit alle Teile des Gebirges“, erklärt Koautor Florian Seitz von der TU München. „Außerdem können wir mit einer Auflösung von 25 Kilometern die horizontalen und vertikalen Verschiebungen sowie Dehnungen und Stauchungen darstellen.“
Plattenkollision hebt Alpen weiter in die Höhe
Das Ergebnis: Die Alpen wachsen weiter in die Höhe. „Unsere Daten zeigen eine anhaltende Hebung der gesamten Gebirgskette um rund 1,8 Millimeter pro Jahr“, berichten die Forscher. Am schnellsten heben sich dabei die Schweizer Alpen und die Zentralalpen im Grenzgebiet der Schweiz mit Österreich und Italien. Hier gewinnt das Gebirge pro Jahr rund zwei Millimeter an Höhe. Deutlich langsamer hebt sich dagegen der deutsche Alpenrand mit nur rund 0,6 Millimeter pro Jahr.
Diese Hebung der Alpen hat mehrere Ursachen, wie die Forscher erklären. Ein Faktor ist die anhaltende Kollision von Afrika und Eurasien, bei der die europäische Erdplatte unter den Alpen zusammengestaucht und in die Tiefe gedrückt wird. Gleichzeitig aber trägt eine Entlastung der Erdkruste durch die Erosion des Gebirges zur Hebung bei. „Diese beiden Mechanismen sind hauptsächlich für die jetzt ermittelte Hebung verantwortlich“, berichten die Wissenschaftler.
Der dritte Faktor ist ein Erbe der Eiszeit: Seit dem Abtauen der Eiszeitgletscher federt die damals durch die Auflast des Eises heruntergedrückte Erdkruste zurück. Doch entgegen früheren Studien scheint diese isostatische Hebung nur zu einem geringen Teil am anhaltenden Alpenwachstum beteiligt zu sein, wie Sanchez und ihre Kollegen berichten.
Rotation nach Osten
Doch die Alpen bewegen sich nicht nur in vertikaler Richtung, sie wandern auch seitlich. Die Ost- und Südalpen driften langsam in einer rotierenden Bewegung Richtung Osten, wie die Messdaten enthüllten. Am stärksten ist diese Ostwanderung in den österreichischen Alpen mit bis zu 1,5 Millimetern pro Jahr. Die Westalpen dagegen bewegen sich mit weniger als 0,2 Millimeter pro Jahr kaum.
Parallel zu dieser Rotation wird der Ostrand der Alpen stark zusammengedrückt, wie Sanchez und ihre Kollegen herausfanden. Diese Deformation ist in Südtirol, am Südrand der Ostalpen, am stärksten. Hier verkürzt sich die alpine Kruste jedes Jahr um rund zwei Millimeter, so die Forscher. Das Gestein im Untergrund des venezianischen Beckens und des Friaul steht dadurch besonders unter Druck.
Das neue Modell der Alpendynamik liefert damit wertvolle Aufschlüsse über die tektonischen Vorgänge im Untergrund dieses noch relativ junge Gebirges – und es demonstriert, dass Wachstum und Veränderung der Alpen noch lange nicht abgeschlossen sind. „Geologen und Geophysiker, die sich mit der Alpendynamik beschäftigen, sind daher sehr interessiert an unserem Datensatz – dem umfangreichsten, den es je gegeben hat“, sagt Seitz. (Earth System Science Data, 2018; doi: 10.5194/essd-2018-19)
(Technische Universität München, 15.08.2018 – NPO)