Die ersten Menschen Amerikas besiedelten den Kontinent in mindestens drei Wellen. Die meisten heutigen Ureinwohner Nord- und Südamerikas stammen von der frühesten dieser Einwanderungswellen ab. Sie ereignete sich vor 15.000 Jahren. Das berichtet ein internationales Forscherteam im Fachjournal „Nature“. Für ihre Studie hatten sie über 300.000 DNA-Sequenzen amerikanischer Ureinwohner analysiert – angefangen bei kanadischen Eskimos bis hin zu chilenischen Indios. Aufgrund widersprüchlicher Funde sei bisher umstritten gewesen, ob die Besiedelung des Kontinents aus Asien über die Beringstraße nur einmal oder mehrfach geschehen sei. Die Ergebnisse der Studie belegten nun eindeutig, dass es nach der ersten noch mindestens zwei weitere, wenn auch kleinere Einwanderungswellen gegeben habe, sagen die Forscher.
„Die Erforschung der amerikanischen Ureinwohner ist aufgrund ihrer heutigen starken Vermischung mit Europäern und Afrikanern sehr kompliziert“, sagt Studien-Koordinator Andres Ruiz-Linares vom University College London. Mit ihrer Analyse von rund 365.000 DNA-Sequenzen, die sie über mehrere Jahrzehnte hinweg sammelten, sei es jedoch möglich gewesen, die europäischen und afrikanischen Linien herauszufiltern. Ihre Arbeit stelle damit die bisher umfangreichste Studie über die genetische Vielfalt der amerikanischen Urbevölkerung dar, betonen die Forscher.
Wanderung über die eiszeitliche Landbrücke
Während sich Europäer wie Afrikaner erst in den vergangenen 500 Jahren unter die Ureinwohner des Kontinents mischten, kamen die ersten Einwanderer bereits vor mehr als 15.000 Jahren von Sibirien nach Amerika. Dazu mussten sie kein Wasser überqueren, sondern wanderten über die Beringstraße, eine Landbrücke zwischen Asien und Amerika, die während der Eiszeit noch existierte. Die DNA-Analysen von 52 verschiedenen Gruppen amerikanischer Ureinwohner zeigen nun, dass die meisten unter ihnen sich im Zuge einer ersten großen Einwanderungswelle ansiedelten. Sobald diese „Ersten Amerikaner“, wie sie die Wissenschaftler in ihrer Publikation nennen, auf dem Kontinent angelangt waren, verstreuten sie sich entlang der Ostküste bis hinunter an den südlichsten Gipfel von Chile.
„Die amerikanische Ur-Bevölkerung zeigt mindestens drei Abstammungslininen auf“, berichtet Koautor David Reich von der Harvard Medical School in Boston. Der ersten großen Einwanderungswelle seien noch zwei weitere, kleinere gefolgt. Die genetische Spuren dieser späteren Besiedler fanden die Forscher vorwiegend in der Bevölkerung arktischer Regionen Nordamerikas. So stamme die Hälfte des Erbguts der Aleut sprechenden Eskimos von Einwanderern der zweiten Welle. Das im Norden Kanadas lebende Volk der Chipewyan trage noch in rund zehn Prozent ihrer Gene das Erbe der dritten Einwanderungswelle mit sich, sagen die Forscher
Einige kehrten nach Sibirien zurück
Zusätzlich zu den Ureinwohnern Amerikas, untersuchte das Forscherteam auch DNA-Segmente von 17 Bevölkerungsgruppen in Sibirien. Auch diese wiesen Erbgutanteile aller drei Immigrantenlinien auf. Einige Besiedler aus dem hohen Norden des Kontinents mussten demnach also wieder zurück nach Asien abgewandert sein, schlussfolgern die Forscher.
Aufgrund der umfangreichen Datenmenge und der eindeutigen Befunde, belege ihre Studie erstmals, dass die Besiedelung des amerikanischen Kontinents über die Beringstraße nicht innerhalb einer einzigen Massenwanderung, sondern in mehreren Etappen geschah, betonen die Wissenschaftler. Wie sie berichten, war bei ihrer Untersuchung von Vorteil, dass sie auch die detaillierte Geschichte der Ureinwohner miteinbezogen. Dadurch konnten sie einheimische Bevölkerungsgruppen identifizieren, die sich selbst heute gar nicht mehr zu den Ureinwohnern zählen. (doi:10.1038/nature11258)
(Nature, 12.07.2012 – IRE)