Vulkanischer Superlativ: Beim Ausbruch des Tonga-Vulkans im Januar 2022 erreichte die Eruptionswolke einen neuen Höhenrekord – und bescherte Vulkanforschern einen nie zuvor gesehenen Anblick. Denn die Spitze der 57 Kilometer aufragenden Rauchsäule durchbrach die Obergrenze der Stratosphäre und erreichte die darüber liegende Mesosphäre. Ein solcher Durchbruch in die Mesosphäre war zuvor bei keinem anderen Vulkanausbuch beobachtet worden. Welche Folgen dies hat, ist daher unbekannt.
Der Ausbruch des Unterseevulkans Hunga Tonga-Hunga Ha‘apai am 15. Januar 2022 war ein in vieler Hinsicht außergewöhnliches Ereignis. Denn die stärkste Eruption der letzten 30 Jahre verursachte weltweit spürbare Auswirkungen – von Tsunamis über Erdbeben bis hin zu atmosphärischen Wellen, die siebenmal um die Erde rasten. Die Druckwelle löste selbst in der Ionosphäre rekordschnelle Sturmwinde aus und kehrte die Flussrichtung eines globusumspannenden Stroms geladener Teilchen vorübergehend um.
Parallaxen-Messung bei einer Eruptionswolke
Einen weiteren Superlativ der Tonga-Eruption haben nun Forscher um Simon Proud von der University of Oxford aufgedeckt. Im Fokus ihrer Studie stand die Eruptionswolke des unterseeischen Ausbruchs. Anders als bei anderen großen Vulkanausbrüchen wurden dabei zwar relativ wenig Schwefelgase freigesetzt, dafür aber enorme Mengen an Wasserdampf, vermischt mit Staub und Asche. Wie hoch diese Eruptionssäule reichte, haben Proud und sein Team nun erstmals ermittelt.
Möglich wurde dies durch den glücklichen Umstand, dass der Unterseevulkan zufällig im Blickfeld von gleich drei geostationären Erdbeobachtungs-Satelliten lag. Diese lieferten mehrere Aufnahmen der Eruptionswolke, die ihre Entwicklung alle zehn bis 15 Minuten aus verschiedenen Blickwinkeln abdeckten. Durch die leichte Verschiebung der Perspektive erschien dabei die Wolkenspitze gegenüber der Erdoberfläche leicht verschoben. Diese Parallaxenverschiebung erlaubte es den Wissenschaftlern, die Höhe der Eruptionssäule zu ermitteln.
Riesiger Dom bis in 57 Kilometer Höhe
Das Ergebnis: Schon 25 Minuten nach Beginn des unterseeischen Ausbruchs reichte die Eruptionssäule des Vulkans 40 Kilometer hoch – und zog damit mit dem bisherigen Höhenrekordhalter gleich, der Eruptionswolke des Pinatubo im Jahr 1991. Wenige Minuten später hatte die Ausbruchswolke des Hunga Tonga–Hunga Haʻapai bereits 57 Kilometer Höhe erreicht. „Das ist außergewöhnlich, denn wir haben noch nie zuvor eine so hochreichende Eruptionsvolke gesehen“, sagt Proud.
Wie die Satellitenbeobachtungen zeigten, bildete die Eruptionswolke an ihrer Spitze einen riesigen, nach oben gewölbten Dom von rund 90 Kilometer Durchmesser. „Um diesen Dom herum lag in 41 Kilometer Höhe eine Doughnut-förmige Struktur, deren zweite Ebene knapp über der Tropopause in rund 17,5 Kilometer Höhe eine sekundäre Schicht bildete“, berichten die Forscher. Nach weiteren zehn Minuten kollabierte der Wolkendom und dünnere, bis zu 58 Kilometer hochaufragende Rauch- und Aschesäulen traten an seine Stelle.
Grenze zur Mesosphäre durchbrochen
Das Besondere an diesem Geschehen: Die Spitze der Eruptionswolke durchbrach sogar die Obergrenze der Stratosphäre und ragte bis in die darüber liegende Mesosphäre hinein. „Unsere Beobachtungen liefern damit erstmals den direkten Nachweis dafür, dass Vulkanausbrüche Material bis in die Mesosphäre bringen können“, berichten Proud und sein Team. Warum ausgerechnet diese Eruption so hoch reichte und welche Folgen dies für die Mesosphäre hat, sind allerdings bisher unbekannt.
Klar scheint jedoch, dass so hoch aufragende Eruptionswolken wie die des Tonga-Vulkans größere Mengen Asche und Wasserdampf in die bei etwa 50 Kilometer Höhe beginnende Mesosphäre transportieren können. Das könnte die Bildung besonders hoher Aerosolschleier und Wolken in dieser normalerweise trockenen Schicht fördern. Sichtbar werden die aus Eiskristallen bestehenden Mesosphärenwolken manchmal als leuchtende Nachtwolken.
Die Forscher hoffen, durch weitere Daten von der Tonga-Eruption mehr über die Zusammensetzung der Eruptionswolke und den Stofftransport in die oberen Atmosphärenschichten zu erfahren. Das könnte auch klären, ob der Ausbruch trotz des relativ geringen Schwefelgas-Ausstoßes eine Auswirkung auf das regionale oder globale Klima hatte. (Science, 2022; doi: 10.1126/science.abo4076)
Quelle: Science, University of Oxford