Unterschätzte Nebenwirkung: Entsalzungsanlagen haben eine bisher kaum beachtete Schattenseite, wie nun eine UN-Studie enthüllt: Sie erzeugen Unmengen hochkonzentrierter Salzlauge. Weltweit werden pro Tag 142 Millionen Kubikmeter dieser Lauge an die Umwelt abgegeben – weit mehr als bisher gedacht. Das Problem: Ein Großteil der Salzlauge wird einfach zurück ins Meer geleitet, mit entsprechenden ökologischen Folgen.
Für viele Regionen weltweit sind Entsalzungsanlagen überlebenswichtig. Denn vor allem im Mittleren Osten, in Nordafrika und auch auf vielen Inseln wird so ein Großteil des benötigten Trinkwassers gewonnen. Einige Länder wie Kuweit, Katar, Malta, Singapur oder die Malediven decken sogar ihren gesamten Wasserbedarf durch die Meerwasser-Entsalzung. Traditionell wird das Trinkwasser in diesen Anlagen aus dem Verdampfen von Salzwasser gewonnen, heute werden vermehrt spezielle Membranen und auf Osmose beruhende Verfahren eingesetzt, um das Salz herauszufiltern.
Das Problem ist das, was übrigbleibt
Gemeinsam ist diesen Anlagen eines: Abhängig von der Methode und dem Salzgehalt des Ausgangswassers bleibt nach der Entsalzung eine mehr oder weniger große Menge an hochkonzentrierter Salzlauge zurück. Bei ineffizienten Anlagen entsteht mehr Lauge als Trinkwasser produziert wird, wie Edward Jones von der United Nations University und seine Kollegen erklären.
Das Problem: Wird die Lauge einfach wieder zurück ins Meer oder den Fluss geleitet, kann dies die sensible Ökologie der Gewässer empfindlich stören. Denn die Lauge erhöht den Salzgehalt, kann giftige Chemikalien und Schwermetalle aus dem Entsalzungsprozess enthalten und trägt zum Sauerstoffschwund im Gewässer bei – dem Prozess, durch den in einigen Küstengebieten die sauerstoffarmen Todeszonen wachsen.
So viel Trinkwasser wie der halbe Niagarafall
Doch wie viele Entsalzungsanlagen es weltweit gibt, wie viel Salzlauge in ihnen produziert wird und was damit geschieht, war bisher unklar. Deshalb haben Jones und sein Team nun eine globale Bestandsaufnahme der Entsalzung durchgeführt. Dafür werteten sie Daten zu Anlagen in aller Welt aus, zu deren Methode und Effektivität. Daraus kalkulierten sie die Menge der entstehenden Salzlauge.
Das Ergebnis: Weltweit sind heute 15.906 Entsalzungsanlagen in 177 Ländern in Betrieb. Ihre Zahl hat sich damit seit den 1980er Jahren fast verzehnfacht, wie die Forscher berichten. Zusammen produzieren diese Anlagen jeden Tag gut 95 Millionen Kubikmeter frisches Trinkwasser – das entspricht rund dem halben Tagesdurchfluss der Niagarafälle.
Fast die Hälfte der weltweiten Entsalzungskapazität konzentriert sich dabei im Mittleren Osten und in Nordafrika. Allein Saudi-Arabien, die Vereinten Arabischen Emirate und Kuweit zusammen erzeugen 29,3 Prozent des durch Entsalzung gewonnenen Trinkwassers. Ostasien und Nordamerika haben einen Anteil von 18,4 und 11,9 Prozent. In Europa ist Spanien mit 5,7 Prozent der größte Entsalzungs-Nutzer.
Eineinhalb Liter Lauge für jeden Liter Trinkwasser
Allerdings: So hoch der Trinkwassergewinn durch solche Anlagen auch ist, die salzigen Hinterlassenschaften sind größer. Pro Tag erzeugen die Entsalzungsanlagen weltweit 142 Millionen Kubikmeter an Salzlauge, wie die Forscher ermittelten. Für jeden Liter Trinkwasser entstehen demnach im Schnitt 1,5 Liter salziger, mit Schwermetallen und Chemikalien angereicherter Lauge.
Den Löwenanteil an der Salzlaugen-Produktion haben auch hier wieder die Anlagen im Mittleren Osten. Weil sie größtenteils mit Meerwasser und eher ineffektiven thermischen Verfahren arbeiten, erzeugen sie viermal mehr Lauge pro Liter Trinkwasser als Anlagen mit modernerer Technologie. „Alle anderen Regionen erzeugen substanziell geringere Laugenvolumen und besitzen eine bessere Effektivität“, so Jones und sein Team.
Die Daten bestätigen auch, dass 80 Prozent der Entsalzungsanlagen in Küstennähe liegen und ihre Laugenreste meist direkt wieder ins Meer einleiten.
Nutzen statt verklappen
Nach Ansicht der Wissenschaftler müssen deshalb dringend wirtschaftliche Anreize dafür geschaffen werden, die Entsalzungsanalgen effizienter zu machen, aber auch, die Salzlauge sinnvoll zu nutzen statt sie einfach in die Umwelt freizusetzen. So zeigen Studien, dass sich solche Salzlaugen für spezielle Formen der Aquakultur einsetzen lassen. „Aquakultur mit Salzlauge aus solchen Anlagen hat schon Fischbiomasse-Zuwächse von 300 Prozent erreicht und auch für die Zucht der als Lebensmittelzusatz beliebten Alge Spirulina lässt sich die Lauge einsetzen“, erklärt Koautor Manzoor Qadir von der UN University.
Zudem enthalten die Laugen wertvolle Metalle und Salze, die als Rohstoffe rückgewonnen werden können. Zu diesen zählen unter anderem Magnesium, Calcium, Natrium, und Lithium, aber auch Rubidium, Bor, Brom oder sogar Uran. Noch sind viele Methoden für die Rückgewinnung dieser Elemente erst im Anfangsstadium und wenig rentabel. Doch mit wachsendem Rohstoffbedarf und einer Weiterentwicklung der Technologien könnte sich dies ändern, so die Forscher. (Science of the Total Environment, 2019; doi: 10.1016/j.scitotenv.2018.12.076)
Quelle: United Nations University – Institute for Water, Environment and Health