Im Süden Spaniens haben Archäologen ein Steinzeitgrab mit ungewöhnlichen Merkmalen entdeckt. In ihm fanden sich zwei Schädel, die vor rund 6.800 Jahren im Rahmen von Opferritualen bestattet worden sein könnten. Die weibliche Tote wurde zudem nach ihrem Tod enthauptet und möglicherweise entbeint. Außerdem weist ihr Schädel Spuren einer verheilten Schädelöffnung einige Jahre vor ihrem Tod auf.
Schon in der Steinzeit praktizierten Menschen Rituale, in denen Schädel eine herausragende Rolle spielten. So spießten einige Gruppen die Schädel von Toten auf Pfähle auf, andere praktizierten rituelle Enthauptungen oder huldigten sogar einem Schädelkult, wie im Steinzeitheiligtum Göbekli Tepe. Eine ungewöhnliche Rolle spielte ein Schädel dagegen vor 2.100 Jahren in Ecuador: Dort diente er als Schutzhülle für den Kopf eines toten Kleinkinds.
Zwei Schädel statt eines Toten
Jetzt belegt ein Grabfund: Auch im Spanien der mittleren Jungsteinzeit spielten Schädel und Totenrituale eine wichtige Rolle. In der Dehesilla-Höhle nahe der Stadt Cadiz stießen Archäologen um Daniel Garcia-Rivero von der Universität Sevilla auf eine Grabkammer mit ungewöhnlichem Inhalt. Das Grab stammt aus der Zeit vor 6.800 bis 6.500 Jahren, wie Radiokarbondatierungen ergaben.
Das Merkwürdige jedoch: Statt der sonst für die Jungsteinzeit üblichen Einzelbestattung lagen gleich zwei Tote in dem Grab. Allerdings waren nur die Schädelkalotten der beiden Toten dort bestattet worden, die restlichen Schädelteile und Skelette fehlten. Einer der Schädel stammte von einem Mann im mittleren oder höheren Alter, der zweite Schädel dagegen von einer jüngeren Frau, wie nähere Untersuchungen ergaben.
„Dieses selektive Begräbnis nur der Schädel ist der einzige bekannte Fall aus der mittleren Jungsteinzeit, der eine solche gesonderte Behandlung der Schädel bei der Bestattung zeigt“, konstatieren die Forscher.
Indizien für eine Schädelöffnung zu Lebzeiten
Ungewöhnliches entdeckten die Forscher auch am Schädel der Frau: Er zeigte deutliche Spuren von Eingriffen – sowohl vor als auch nach ihrem Tod. Eine knapp zwei Zentimeter ovale Vertiefung in ihrem Schädeldach deutet darauf hin, dass der Knochen dort abgetragen und fast geöffnet worden sein muss. Den Heilungsspuren zufolge geschah dies aber schon einige Jahre vor dem Tod der Frau. „Zuerst dachten wir an eine Schlagverletzung durch einen stumpfen Gegenstand“, berichten die Forscher. Aber das Fehlen der dafür typischen radiären Knochenrisse sprach dagegen.
Was aber war es dann? Nähere Untersuchungen der Schädelverletzung brachten die Archäologen dann auf eine ganz andere Spur: Offenbar war an der Frau eine Trepanation durchgeführt worden – eine absichtliche Öffnung des Schädels. Aus anderen Funden weiß man, dass die Menschen der Steinzeit solche riskanten Operationen durchaus häufig durchführten. Ob dies allerdings medizinischen Zwecken diente oder aber rituellen – beispielsweise um Geister entweichen zu lassen – weiß man nicht.
Wurde die Frau geopfert?
Und noch eine Auffälligkeit gab es bei der weiblichen Toten: Schnittspuren an ihrem Schädelknochen sprechen dafür, dass sie enthauptet worden ist. „Den Spuren zufolge geschah dies nach ihrem Tod, aber vor dem Zerfall der umgebenden Muskeln“, berichten Garcia-Rivero und sein Team. Das spreche dafür, dass die Frau unmittelbar nach ihrem Tod geköpft wurde. Der Mann dagegen zeigte keine Spuren von Gewalteinwirkung.
Die Archäologen schließen nicht aus, dass der Mann eines natürlichen Todes starb, die Frau dagegen bei seinem Tod geopfert wurde. Für eine rituelle Opferung spricht auch, dass in der Grabkammer ein Altarstein, eine Feuerstelle und eine vermutlich dort geopferte Jungziege gefunden wurden. Weitere Tierknochen, Steinwerkzeuge und Keramikscherben deuteten auf relativ reichliche Grabbeigaben hin.
„Diese Daten eröffnen ganz neue anthropologische Szenarien von Tier- und vielleicht sogar Menschenopfern im Zusammenhang mit religiösen oder dem Gedenken gewidmeten Feierlichkeiten“, sagt Garcia Rivero. „All diese Elemente machen dies zu einem außergewöhnlichen archäologischen Fund.“ (PLOS ONE, 2020; doi: 10.1371/journal.pone.0236961)
Quelle: Universidad de Sevilla