Forscher schlagen Alarm: Der rasant wachsende Sandhunger der Menschheit droht aus dem Ruder zu laufen. Schon jetzt hat der ungeregelte Raubbau dieser knapper werdenden Ressource für viele Regionen schwerwiegende Folgen: Küsten sinken ab, Trinkwasser und Felder versalzen und politische Spannungen und Konflikte eskalieren. Werde hier nicht gegengesteuert, drohe eine globale Sandkrise, warnen die Wissenschaftler im Fachmagazin „Science“.
Auf den ersten Blick gibt es Sand auf der Erde eher im Überfluss: Er bedeckt Strände, Meeresböden und Wüstenregionen, häuft Dünen auf und tritt in vielen Böden zutage. Trotz dieser Fülle gibt es aber ein Problem: Sand ist keine schnell nachwachsende Ressource. Bis die Erosion Gesteine zu den Myriaden winzigen Körnchen zermahlen hat, vergehen zehntausende und mehr Jahre.
Sand wird überall gebraucht
Doch die Menschheit hat einen gewaltigen Hunger nach Sand: Für die Baubranche ist er unverzichtbar, er wird aber auch als Rohstoff für Glas und die Halbleiter in Computern, Solarzellen und anderen Technologen benötigt. „Sand und Kies machen den größten Anteil aller weltweit geförderten Materialien aus – noch vor fossilen Brennstoffen und Biomasse“, berichten Aurora Torres vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) in Halle.
Bisher schien dies kein Problem zu sein, denn Sand ist einfach und billig zu fördern und kommt nahezu überall auf dem Globus vor. Zudem gilt er als sogenanntes Allmendegut oder „Common-Pool“-Ressource. Das bedeutet, dass nahezu jeder Zugang zu dieser Ressource hat und sich ihr Abbau daher nur schwer reglementieren lässt. „Sand ist ein perfektes Beispiel für eine natürliche Ressource, deren Transaktionen einfach scheinen, aber in Wirklichkeit komplex sind und reichlich Risiken und Ungleichheit mit sich bringen“, erklärt Jianguo Liu von der Michigan State University.
Steigender Bedarf, knappe Ressourcen
Schon jetzt gibt es beim Sand ein doppeltes Problem: Zum einen wird der Nachschub immer knapper. Viele einst reichhaltigen Vorkommen sind bereits ausgebeutet oder übernutzt – auch weil nicht jeder Sand für die Nutzung geeignet ist. Gleichzeitig führen die immer dichtere Besiedlung der Küstenregionen, der steigende Meeresspiegel und die zunehmende Erosion dazu, dass viele Sandvorkommen verschwinden oder zugebaut werden und damit nicht mehr zugänglich sind.
Zum anderen aber steigt die globale Nachfrage rasant. „Hauptreiber dieser Entwicklung ist die schnelle Expansion der Städte“, erklären die Forscher. „Sie setzt die begrenzten Sandressourcen immer mehr unter Druck.“ Weil es jedoch bis heute niemand genau weiß, wie viel nutzbaren Sand es weltweit gibt, fehlen internationale Abkommen, Vorgaben oder Kontrollen, die diese explodierende Nachfrage in geregelte Bahnen lenken könnten.
Sand-Mafia und politische Konflikte
Die Folge: Knappheit und hohe Profite führen schon jetzt immer häufiger zu politischen Konflikten, Kriminalität und Gewalt. „In Indien gilt die Sand-Mafia schon jetzt als eine der mächtigsten und gewalttätigsten Gruppen des organisierten Verbrechens – hundert von Menschen sind bereits in ‚Sandkriegen getötet worden“, berichten Torres und ihre Kollegen.
Unter benachbarten Staaten kommt es bereits häufig zu Konflikten und politischen Spannungen, weil der eine dem andern buchstäblich den Sand abgräbt. So importiert Singapur große Mengen Sand für die Landgewinnung aus den umliegenden Regionen -und kann wegen seines Wohlstands dafür gute Preise zahlen. Das Nachsehen haben die weniger reichen Nachbarländer.
Versalztes Wasser, erodierte Küsten
Negative Konsequenzen hat der Raubbau vor allem für Umwelt und Menschen in den Sandabbaugebieten: Im Mekong-Delta und anderen Küstengebieten Südostasiens kommt es durch den Sandabbau zu Grundwassermangel und Bodenabsenkungen, wie die Forscher berichten. Dadurch dringt Meerwasser immer weiter ins Landesinnere vor und versalzt Trinkwasser, Felder und Böden.
„Der Sandabbau ist auch ein häufiger Grund für die Erosion von Ufern und Küsten, wodurch diese Gebiete anfälliger für Naturkatastrophen wie Hochwasser, Sturmfluten oder Tsunamis werden“, erklären Torres und ihre Kollegen. So verschlimmerte beispielsweise die starke Sandförderung in Sri Lanka die Auswirkungen des Tsunami im Jahr 2004. „Ironischerweise führte dies dazu, dass hinterher der Sandbedarf dieser Region durch den Wiederaufbau sogar noch angestiegen ist“, so die Forscher.
Mehr internationale Koordination
Bisher spielen diese versteckten Kosten der Sandgewinnung für die Hauptabnehmer meist keine Rolle – betroffen sind ja in erster Linie die ärmeren Regionen der Erde. Doch angesichts der immer knapper werdenden Ressource könne sich dies die Welt nicht mehr länger leisten: „Wir müssen dringend das wirkliche Budget der globalen Ressource Sand kennen – und auch die versteckten Kosten der Sandgewinnung und des Handels beleuchten“, betonen die Forscher.
Nur auf dieser Basis ist ihrer Ansicht nach eine nachhaltige und gerechte Nutzung dieser wertvollen Ressource langfristig möglich. „Wir brauchen mehr Koordination zwischen nationalen und internationalen Akteuren, eine Überwachung und Genehmigungsregelungen für den Abbau und ein System der Ausgleichszahlungen für die ökologischen und sozialen Folgen“, sagen Torres und ihre Kollegen. (Science, 2017; doi: 10.11126/science.aao0503)
(Michigan State University/ Science, 11.09.2017 – NPO)