Verblüffende Entdeckung: Viele große Edelsteine könnten in nur einem Tag herangewachsen sein – weit schneller als bislang für möglich gehalten. Denn diese Kristalle erreichen im bestimmten Gesteinen Wachstumsraten von mehr als einem Meter pro Tag, wie Forscher herausgefunden haben. Das könnte erklären, warum auch in schnell abgekühltem Magmagestein große Schmucksteine wie Topas, Beryll oder Smaragd vorkommen.
Viele Edelsteine haben ihren Ursprung in schmelzflüssigem Gestein der tiefen Erdkruste und des Erdmantels. Als dieses Gestein allmählich erkaltete, kristallisierten je nach Zusammensetzung der Schmelze verschiedene Minerale aus, vom Turmalin, Beryll und Smaragd bis hin zum Diamant. Gängiger Lehrmeinung nach wurden dabei die Kristalle am größten, die am längsten Zeit zum Wachsen hatten – wie es in langsam erkaltenden Gesteinen der Fall ist.
Rätsel um „zu große“ Edelsteine
Das Merkwürdige jedoch: Ausgerechnet in einem besonders schnell erkalteten Magmagestein, dem sogenannten Pegmatit, finden sich häufig besonders große Edelstein-Kristalle. Obwohl das Pegmatit selbst feinkörnig ist, finden sich darin Topase, Turmaline oder Beryll von mehr als einem Meter Größe. „Pegmatite kühlen schnell ab, oft in wenigen Jahren und trotzdem beherbergen sie einige der größten Kristalle der Erde“, sagt Koautor Cin-Ty Lee von der Rice University. „Die große Frage ist: Wie kann das sein?“
Um das zu klären, haben Lee, sein Kollege Patrick Phelps und Douglas Morton von der University of California in Riverside sich Quarzkristalle aus einer Pegmatit-Ader in der kalifornischen Stewart-Mine näher angeschaut. Dafür haben sie das Wachstumstempo dieser Kristalle anhand der in ihnen enthaltenen Spurenelemente rekonstruiert. Denn während einige Elemente wie Aluminium nur sehr langsam in einem Gestein diffundieren, sind andere Elemente beweglicher. Ihr Anteil in verschiedenen Zonen des Kristalls kann daher verraten, wie schnell dieser gewachsen ist.
Tempowechsel im Kristall
Und tatsächlich gab es auffallende Unterschiede: Wurden die 2,5 Zentimeter langen Quarzkristalle mit einem Elektronenstrahl zum Leuchten angeregt, zeigten sie drei verschiedenfarbige Zonen. Im Zentrum lag eine weißliche Kernzone, umhüllt von einer orangenen und dann einer roten Schicht. Als die Forscher diese Zonen mittels Massenspektrometrie untersuchten, stellten sie auch chemische Unterschiede fest:
„In der hellen Kernregion zeigten die meiste Elemente nur minimale räumliche Veränderungen ihrer Konzentration“, so Phelps und seine Kollegen. Doch in der nächstäußeren Zone stieg die Konzentration von Lithium, Germanium und Aluminium sprunghaft an. Daraus schließen die Forscher, dass es im Verlauf des Kristallwachstums einen abrupten Tempowechsel gegeben haben muss.
Mehr als einen Meter pro Tag gewachsen
Demnach hat der Quarzkristall nach anfänglich langsamen Wachstum plötzlich gewissermaßen den „Turbo“ eingeschaltet: „Wir schätzen, dass die Wachstumsrate sich vom Kern zum Rand um das rund 100-Fache erhöhte – von einem bis zehn Millimetern pro Tag auf einen bis zehn Meter pro Tag“, so Phelps und sein Team. Bei Ihren Testkristallen von rund 2,5 Zentimeter Länge entstand die helle Kernzone demnach in rund drei Stunden, während die kaum dünnere Folgeschicht in nur vier Minuten heranwuchs.
Das bedeutet, dass viele der in Pegmatit gefundenen Edelsteine weit schneller als gedacht zu ihrer stattlichen Größe herangewachsen sein könnten – in wenigen Tagen statt in mehreren Jahren. „Basierend auf unseren Ergebnissen spricht nichts dagegen, dass die großen Kristalle von einem Meter Länge oder mehr den gleichen physikalischen Prozessen unterlagen“, sagt Phelps. „Auch sie könnten innerhalb von Tagen entstanden sein.“
Dieses rapide Kristallwachstum im Pegmatit ist selbst für die Wissenschaftler überraschend: „Wir wussten, dass die Edelsteine im Pegmatit relativ schnell gewachsen sein mussten“, sagt Lee. „Aber die von uns gefundenen Raten sind mehrere Größenordnungen schneller, als alle vorher vermutet hätten.“
Risse im erkaltenden Gestein
Doch was ist die Ursache für diesen Wachstumsschub der Kristalle? Die Forscher führen dies auf das im magmatischen Gestein enthaltene Restwasser und die Bildung von Rissen im erkaltenden Pegmatit zurück: „Als diese Brüche aufrissen, sank der Druck abrupt und Flüssigkeit strömte ein“, erklärt Phelps. Mit dieser Flüssigkeit wurden auch die kristallbildenden Elemente in diese Gesteinslücken eingeschwemmt.
„Die chemischen Diffusionsraten sind in Fluiden weit höher als in der Gesteinsschmelze und die Flüssigkeit fließt schneller“, so der Forscher. Dadurch wurden die Hohlräume im erstarrenden Pegmatit zu „Brutstätten“ für die Kristalle. „Wenn dort ein Kristall heranwächst, erreichen ihn die gelösten Element schneller, dadurch kann er auch schneller wachsen“, erklärt Phelps. Demnach ermöglichte die Interaktion der Gesteinsschmelze mit flüssigkeitsgefüllten Hohlräumen die ungewöhnlich großen, schnell gewachsenen Edelsteine im Pegmatit. (Nature Communications, 2020; doi: 10.1038/s41467-020-18806-w)
Quelle: Rice University