Auf der Erde gibt es rund ein Drittel weniger Organismen als bisher angenommen. Denn die Anzahl der im Meeresboden lebenden Mikroben wurde bisher gravierend überschätzt. Das haben deutsche und US-amerikanische Geoforscher anhand neuer Daten aus Sedimentbohrkernen ermittelt. Bisher ging man davon aus, dass die einzelligen Bewohner der Ozeanböden etwa 30 Prozent der gesamten lebenden Biomasse unseres Planeten ausmachen. Die neuen Daten deuten aber darauf hin, dass zwischen 70 und 92 Prozent weniger Zellen als bisher geschätzt im Meeresgrund leben.
Damit sinke ihr Anteil an der gesamten lebenden Biomasse der Erde drastisch auf nur noch 0,6 Prozent, berichten die Wissenschaftler um Jens Kallmeyer vom Deutschen Geoforschungszentrum GFZ in Potsdam im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Science“. Insgesamt sei die Menge der Mikroorganismen und auch der Biomasse weltweit dadurch deutlich niedriger als bisher angenommen. Die Ursache für die frühere Fehlschätzung liegt nach Angaben der Forscher an der extrem ungleichmäßigen Verteilung der Organismen im Meeresboden. Zuvor seien vor allem Sedimentbohrkerne ausgewertet worden, die in der Nähe der Küsten und in sehr nährstoffreichen Gebieten der Ozeane genommen worden waren. Dort ist der Boden mit relativ vielen Mikroben durchsetzt. „Etwa die Hälfte der Weltmeere sind aber extrem nährstoffarm, daher wurde schon seit etwa zehn Jahren vermutet, dass die Biomasse im Meeresboden stark überschätzt wird“, erklärt Erstautor Jens Kallmeyer vom GFZ. Allerdings habe es bisher keine Daten zur Bestätigung dieses Verdachts gegeben. Als Biomasse bezeichnen die Forscher die Menge der lebenden Organismen – Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroben – und des in ihren Zellen gespeicherten Kohlenstoffs.
Sedimentproben auch fernab der Küsten genommen
Für ihre Studie haben Kallmeyer und seine Kollegen Proben aus Sedimentbohrkernen fernab von Küsten und Inseln gesammelt, darunter aus der Mitte des Nord- und Südpazifiks. In diesen Meeresgebieten, die aufgrund ihrer Nährstoffarmut auch Wüsten der Meere genannt werden, fanden sie bis zu hunderttausendmal weniger Zellen als in vergleichbaren Bohrkernen in Küstennähe. Diese neuen Daten kombinierten die Wissenschaftler mit den bereits vorhandenen aus nährstoffreicheren Meeresgebieten und berechneten daraus die Biomasse in den marinen Sedimenten neu.
Die Forscher ermittelten, dass in den Meeresböden weltweit nur knapp 300 Quadrilliarden Zellen existieren. Das entspricht einer Drei mit 29 Nullen. Diese Menge erscheint zwar gewaltig, sie ist aber deutlich geringer als die bisher geschätzten 3.550 Quadrilliarden, wie Kallmeyer und seine Kollegen erklären. Statt etwa 300 Milliarden Tonnen Kohlenstoff wie bisher angenommen seien demnach auch nur etwa vier Milliarden Tonnen Kohlenstoff in den Mikroorganismen des Meeresbodens gespeichert. Ihrer Schätzung nach sei daher auch die Gesamtmenge der lebenden Biomasse auf der Erde um rund ein Drittel niedriger als gedacht. (doi:10.1073/pnas.1203849109)
(Proceedings of the National Academy of Science (PNAS), 28.08.2012 – NPO)