Ökologie

Ein Fünftel der Wirbeltiere bedroht

Bericht quantifiziert erstmals Gefahr für „Rückgrat der Biodiversität“

Das in Südamerika lebende Riesengürteltier gilt als bedroht. © Carly Vynne

Auch die Wirbeltiere, das Rückgrat der Artenvielfalt, erleben zurzeit ein Massenaussterben: Rund 20 Prozent von ihnen sind bedroht, durchschnittlich 52 Arten rücken jedes Jahr in der Roten Liste eine Stufe höher und damit näher an eine Ausrottung heran. Das zeigt ein Bericht eines internationalen Forscherteams, der erstmals den Status von 25.000 Wirbeltierarten der Roten Liste quantitativ erfasst und auswertet. Die jetzt in „Science“ online veröffentlichte Studie gibt aber auch Hoffnung: Denn sie belegt, dass Artenschutzmaßnahmen den rasanten Schwund der letzten Jahrzehnte immerhin um 20 Prozent abbremsen konnten. Der Bericht wird heute auf dem Biodiversitätsgipfel in Nagoya offiziell vorgestellt.

Schon seit längerem sprechen Experten in Bezug auf das Schwinden der Biodiversität von einem sechsten großen Massenaussterben der Erdgeschichte. Doch im Gegensatz zu den vorhergehenden Ereignissen dieser Art findet dieses langsam, schleichend statt und die Ursache ist nicht eine Naturkatastrophe oder ein natürlicher Klimawechsel, sondern der Einfluss des Menschen. Wie es um die Wirbeltiere der Erde steht, hat jetzt eine Studie, an der 174 Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern beteiligt waren, erstmals umfassend untersucht.

Der nun im Rahmen des Biodiversitätsgipfels in Nagoya vorgestellte Bericht basiert auf Daten der Roten Liste der International Union for Conservation of Nature (IUCN) und erfasst den Status 25.000 Wirbeltierarten von Fischen über Amphibien, Reptilien und Vögel bis zu den Säugetieren. Erstmals gelang es den beteiligten Forschern darin, die Rate des Niedergangs für die Wirbeltiere genauer zu quantifizieren. Obwohl Wirbeltiere nur rund drei Prozent aller bekannten Tierarten der Erde ausmachen, spielen sie eine lebenswichtige Rolle für ihre Ökosysteme und auch für den Menschen.

Globale Karte der Bedrohung: Frischwasser- und Landwirbeltiere in braun, marine Wirbeltiere in blau. © Science/AAAS

20 Prozent der Wirbeltiere bedroht

Die Ergebnisse bestätigen die Befürchtungen: Rund 20 Prozent aller bekannten Wirbeltierarten gelten zurzeit als bedroht, darunter 25 Prozent aller Säugetiere, 13 Prozent der Vögel, 22 Prozent der Reptilien und 41 Prozent der Amphibien. Unter den Fischen sind 33 Prozent der Knorpelfische und 15 Prozent der Knochenfische gefährdet. Insbesondere in tropischen Regionen nimmt die Populationsdichte dieser Arten mit alarmierender Geschwindigkeit ab. Am stärksten bedroht sind dabei Arten in Südostasien, wo vor allem Rodung, die Ausbreitung der Landwirtschaft und die Jagd treibende Kräfte der Ausrottung vieler Arten sind.

Verschärfung der Bedrohung bei 52 Arten pro Jahr

„Das Rückgrat der Biodiversität erodiert”, erklärt dazu der renommierte Ökologe und Autor Edward O. Wilson, Professor an der Harvard Universität. In jedem Jahr steigen durchschnittlich 52 Arten in der Gefährdungsskala um eine Stufe nach oben und damit einen Schritt näher an die Ausrottung.

„Ein kleiner Schritt in der Roten Liste nach oben ist ein großer Sprung hin zum Aussterben. Und dabei gibt diese Studie nur einen kleinen Einblick in die globalen Verluste“, so Wilson. Während der letzten vier Jahrzehnte haben die Aussterberaten das natürliche Schwinden um zwei bis drei Größenordnungen übertroffen, so die Wissenschaftler.

Artenschutz greift – wenn auch noch zu langsam

Doch es gibt auch Hoffnung: Denn zum ersten Mal belegen die Daten auch, dass die Bemühungen im globalen Artenschutz Früchte tragen. Die Ergebnisse zeigen, dass ohne die vielfältigen Schutzmaßnahmen die Biodiversität um weitere 20 Prozent gesunken wäre. Zwar sind die aktuellen Maßnahmen nicht ausreichend, um die Haupttriebkräfte des Artenschwunds auszugleichen – darunter den Verlust von Lebensräumen, die Übernutzung und die Einwanderung fremder Arten -, dennoch ist ein positiver Effekt immerhin messbar.

„Die Geschichte hat gezeigt, dass Artenschutz das Unmögliche erreichen kann, wie beispielsweise bei der Rettung des Breitmaulnashorns im südlichen Afrika“, erklärt Simon Stuart, Leiter der Artenschutzkommission des IUCN. „Aber dies ist das erste Mal, dass wir den kumulierten positiven Einfluss dieser Einzelerfolge auf den Zustand der Umwelt belegen können.“

(IUCN, 27.10.2010 – NPO)

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