Referenz gefunden: Ein kleiner See in Kanada wird künftig zum weltweiten Referenzpunkt für das Anthropozän – das geologische „Zeitalter des Menschen“. Denn in den Sedimentschichten des Crawford Lake zeigen sich der radioaktive Fallout der Atombombentests der 1950er Jahre und andere anthropogene Veränderungen der Umwelt besonders deutlich. Deshalb werden seine Sedimente nun zum Global Stratotype Section and Point (GSSP), wie nun eine Arbeitsgruppe der Internationalen Kommission für Stratigraphie (ICS) entschieden hat.
Wir Menschen haben die Erde so stark verändert wie kein Organismus vor uns: Es gibt heute mehr menschengemachtes Material als Biomasse und mehr anthropogene Strukturen als Arten auf unserem Planeten. Unsere Landnutzung und Schadstoffe verursachen ein Artensterben und unsere Emissionen haben das Klima aus dem Gleichgewicht gebracht. Vor gut 20 Jahren schlugen daher Wissenschaftler, darunter der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen, vor, die vom Menschen geprägte Ära als neues geologisches Zeitalter zu definieren – als „Anthropozän„.
Eine neue geologische Epoche
Doch bevor ein solches Zeitalter offiziell Teil der geologischen Stratigrafie wird, müssen entscheidende Fragen beantwortet werden: Wann hat es begonnen, an welchen Merkmalen ist es erkennbar und welche geologische Formation dient als internationaler Referenzpunkt für den Beginn dieser Ära? Um dies zu klären, hat die International Commission on Stratigraphy (ICS) eine Arbeitsgruppe (Anthropocene Working Group, AWG) eingerichtet, die genau dies untersuchen soll. 2019 beschloss diese nach eingehender Prüfung, dass es genügend Indikatoren für das Anthropozän als neue stratigrafische Epoche gibt.
Doch wann hat das Anthropozän begonnen? Hier gingen die Meinungen zunächst weit auseinander: Crutzen und andere schlugen den Beginn der industriellen Revolution und die mit ihr verbundene Zunahme der Kohlendioxid- und Schadstoffemissionen als Startpunkt vor. Allerdings sind die damit verbundenen geologischen Veränderungen nicht weltweit in gleicher Weise und zur gleichen Zeit nachweisbar. Ähnliches gilt für Landnutzungsänderungen oder den Nachweis synthetischer Materialien.
Radioaktiver Fallout als Leitmerkmal
Deshalb wurde stattdessen die Zeit um 1950 als offizieller Beginn des Anthropozäns festgelegt. Zu dieser Zeit hinterließen die Atombombentests einen weltweit in Ablagerungen nachweisbaren Peak radioaktiver Elemente wie Plutonium oder Americium. „In der Natur kommt Plutonium nur in minimalen Spuren vor. Aber in den 1950er Jahren sehen wir einen beispiellosen Anstieg von Plutonium in Bohrkernen aus aller Welt“, erklärt AWG-Mitglied Andrew Cundy von der University of Southampton.
Ebenfalls um diese Zeit führten das Ende des Zweiten Weltkriegs und der darauffolgende wirtschaftliche Wiederaufschwung zu einer Beschleunigung und Verstärkung der anthropogenen Eingriffe in Natur und Stoffkreisläufe. Damit blieb die Aufgabe, einen Referenzpunkt für diesen Übergang zu finden – den Global Stratotype Section and Point (GSSP). Diese GSSPs werden wegen ihrer goldfarbenen Plakette auch als „Golden Spike“ oder „Goldener Nagel“ bezeichnet.
2021 wurde beispielsweise die Schichtfolge in einem Steinbruch nahe Salzgitter in Niedersachsen zu einem weltweiten GSSP gekürt. Ein weiterer „Golden Spike“ liegt im chinesischen Ort Meishan. Welche Formation sich als GSSP für das Anthropozän eignet, hat die ICS-Arbeitsgruppe anhand von zwölf Kandidaten geprüft.
Ein Seegrund in Ontario als GSSP
Jetzt liegt das Ergebnis vor: Als offiziellen ‚“Golden Spike“ für das Anthropozän schlägt das Gremium den Crawford Lake in Kanada vor. Dieser kleine, aber tiefe See liegt in einem Naturschutzgebiet am Nordufer des Lake Ontario. Weil sich sein Wasser kaum durchmischt, finden sich in seinem Seegrund besonders klare, ungestörte Schichtabfolgen. Wie an „Jahresringen“ lassen sich an ihnen die Umweltveränderungen der letzten rund tausend Jahre ablesen.
Unter diesen Markern ist unter anderem der gut erkennbare Peak von radioaktivem Plutonium, Cäsium, Americium und Kohlenstoff-14 aus den Atombombentests der 1950er Jahre. „Die Präsenz des Plutoniums liefert uns einen eindrücklichen Indikator dafür, wann die Menschheit eine so dominante Kraft wurde, dass sie einen einzigartigen globalen Fingerabdruck auf unseren Planeten hinterlassen hat“, sagt Cundy.
Damit ist der kleine Crawford Lake auf dem besten Wege, zum „Golden Spike“ für das Anthropozän zu werden. Der Vorschlag des ICS-Auswahlgremiums muss nun weitere Abstimmungen innerhalb der stratigrafischen Fachcommunity durchlaufen. Fallen auch diese positiv aus, wird die International Union of Geological Sciences (IUGS) den neuen GSSP im August 2024 ratifizieren. Crawford Lake ist dann der offizielle Referenzpunkt für das Zeitalter des Menschen.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft, University of Southampton