Bessere Vorhersage: Erst vor wenigen Wochen sorgte der Abbruch eines riesigen Eisbergs am Larsen-C-Schelfeis für Schlagzeilen. Ein neues mathematisches Modell soll nun helfen, solche Eisabbrüche künftig besser vorhersagen zu können. Das Modell beschreibt, wo die Gefahr von Rissen im Schelfeis am größten ist und welche Bedingungen den Abbruch beeinflussen.
Dass sich an den Enden von Küstengletschern regelmäßig Eisberge lösen, ist nichts Ungewöhnliches. Auch am Rand der Schelfeise in der Antarktis brechen immer wieder einmal Teile ab und driften dann als Tafeleisberg ins Meer hinaus. Doch gerade wenn diese Eisberge gigantische Ausmaße erreichen wie beim Larsen-C-Schelfeis und die Risse im Eis vielleicht sogar die gesamte Stabilität des Schelfeises gefährden, ist es wichtig, solche Ereignisse vorhersagen zu können.
Faustregeln und Momentaufnahmen
Doch bisher war genau dies kaum möglich. Denn das Brechen der Eisplatten ist ein komplexer und kontinuierlicher Prozess, der von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Zwar gibt es einige Faustregeln, etwa, dass ein Schelfeis oft bricht, wenn es dünner als 200 Meter wird. Aber diese greifen längst nicht immer. Und auch Satellitenbilder helfen nur bedingt: „Sie spiegeln nur Momentaufnahmen wider“, erklärt Julia Christmann von der Technischen Universität Kaiserslautern.
Um das Verhalten des Schelfeises besser vorhersagen zu können, hat Christmann im Rahmen ihrer Promotion mathematische Modelle entwickelt, die beschreiben, wann und wo das Schelfeis brechen kann. „Bislang beruhten Annahmen dazu immer auf Beobachtungen von Glaziologen und anderen Forschern. Konkrete Berechnungen mit physikalischen Parametern gab es nicht“, so die Forscherin.
Kritische „Sollbruchstelle“
Dank der neuen Modelle ist es nun möglich, den Einfluss verschiedener physikalischer Faktoren auf das Eis besser zu erfassen. „Es spielen beispielsweise Dicke und Dichte des Eis eine wichtige Rolle“, sagt Christmann. „Zusätzlich sind die Materialparameter entscheidend, zum Beispiel elastische Faktoren. Diese beeinflussen hauptsächlich den Ort, an dem der Eisberg abkalbt. Oder die Viskosität, die die Zeit zwischen den Abbruchereignissen beeinflusst.“
Aus den Modellen geht unter anderem hervor, wo die typische „Sollbruchstelle“ der Eisschelfe sitzt: „Das Schelfeis bricht in der Regel an Stellen, welche eine halbe bis zu einer gesamten Eisdicke von der Eisvorderkante entfernt sind“, berichtet Christmann. Für die Wissenschaft können solche Daten wichtig sein, da viele Forschungsstationen auf den antarktischen Schelfeisen liegen, darunter die deutsche Neumayer-Station III oder die britische Station Halley VI.
Wie prekär die Lage auf dem Schelfeis sein kann, erlebte die Besatzung der britischen Halley-Station im letzten Südpolarsommer. Weil sich ein Riss im 150 Meter dicken Brunt-Eisschelf immer weiter auf die Station zubewegte, musste sie im Februar 2017 umziehen: Traktoren zogen die auf Skiern montierte Station 23 Kilometer weiter auf einen stabileren Teil des Schelfeises.
(Technische Universität Kaiserslautern, 25.08.2017 – NPO)