Wie hat sich der Eisschild der Antarktis gebildet? Was sind die Folgen des derzeitigen Klimawandels und welche Konsequenzen hat dies für die Menschheit? Antworten auf diese drängenden Fragen soll das Antarktis-Bohrprogramm ANDRILL liefern. Mit von der Partie sind deutsche Geophysiker, die mithilfe von Bohrlochmessungen einen Blick in die Sedimente unter dem Eis und somit in das Klima der Vergangenheit werfen.
Ziel des internationalen, 30 Millionen US-Dollar teuren Antarktis-Bohrprogramms ANDRILL, ist es, das Klima der letzten 50 Millionen Jahre und dabei insbesondere die Ausdehnung des Schelfeises im Ross-Meer in den jeweiligen Kalt- und Warmzeiten zu rekonstruieren. „Wir beteiligen uns durch aufwändige geophysikalische Messungen im Bohrloch und deren Interpretation und werden dazu fast eine Tonne an Ausrüstung bewegen“ erläutert Thomas Wonik die Rolle des beteiligten Instituts für Geowissenschaftliche Gemeinschaftsaufgaben (GGA) in Hannover.
Wie vermisst man ein Bohrloch geophysikalisch?
„Ohne Bohrungen kommt man in der Forschung, bei der Erkundung und Förderung von Kohlenwasserstoffen und mineralischen Rohstoffen, der Ingenieur- und Hydrogeologie sowie der Geothermik nicht aus“, so Wonik. Durch das Bergen des Bohrkerns sind im Anschluss an eine Bohrung umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen im Labor möglich, die direkt vor Ort zu zeitraubend wären. „In all diesen ‚teuren’ Nadelstichen in die obersten Erdschichten versuchen wir, dem durchbohrten Gebirge so viele Informationen wie möglich über die Vergangenheit zu entlocken“, so Wonik.
Der Nachteil: Das Gewinnen von Bohrkernen zur Untersuchung des Untergrundes ist extrem aufwändig und teuer. Eine schnelle und kostengünstige Alternative bietet hingegen der Einsatz von Bohrlochmessungen. Diese erfordern zwar auch eine Bohrung, doch braucht der Bohrkern nicht unversehrt aus der Erde geborgen werden – es reicht vielmehr, die zertrümmerten Gesteine aus der Tiefe nach oben zu spülen.
„Anschließend werden hoch technisierte Bohrlochsonden an einem speziellen Kabel in die Bohrung hinabgelassen – das ist so, als ob ein Geologen-Auge direkt in das durchbohrte Erdinnere schauen könnte“, erklärt Wonik schmunzelnd. Denn beim langsamen Aufwärtsziehen registrieren die Sonden die physikalischen Eigenschaften der direkten Bohrlochumgebung in Dezimeterschritten und übertragen die Daten durch das Kabel nach oben. „Leider ist dieses Auge nicht perfekt, da bereits durch den Bohrvorgang die natürlichen Eigenschaften des Gebirges gestört wurden – trotzdem liefern die Sonden wichtige Direktinformationen aus der Tiefe.“
Welche physikalischen Parameter sind messbar?
Seit den ersten Bohrlochmessungen vor rund 70 Jahren ist eine Vielzahl von Sonden entstanden, die nahezu jeden physikalischen Parameter des Gebirges messen können. Die wichtigsten sind: natürliche Gammastrahlung, Dichte, Porosität, Schallgeschwindigkeit, elektrische Leitfähigkeit, magnetische Suszeptibilität sowie die Temperatur und Salinität der Bohrlochflüssigkeit. Darüber hinaus existieren Methoden zur Erfassung der Geometrie des Bohrlochs, wie sein jeweiliger Durchmesser und seine Lage im Raum – schließlich gibt es keine Bohrung, die genau senkrecht verläuft.
Aus den so erhaltenen ‚Tiefen-Fieberkurven’ lassen sich vor allem die physikalischen Eigenschaften des Untergrundes kontinuierlich und objektiv erfassen. Zudem können die Wissenschaftler die geophysikalischen Messungen an der Erdoberfläche mit der unterirdischen Geologie verbinden und zusätzlich geologische, physikalische und chemische Größen berechnen.
Sedimente speichern Klimainformationen
„Im ANDRILL-Projekt können wir auch Fragen beantworten, die selbst Otto Normalverbraucher interessieren – wie etwa die Auswirkungen des Klimawandels“ erläutert Wonik. „Normalerweise stehen dabei Eiskerne im Fokus des Interesses, wenn es um das Klima der Antarktis geht. Diese erzählen uns allerdings nur die Klimageschichte der letzten eine Million Jahre. Hingegen erlauben uns die mit unseren Methoden gemessenen physikalischen Eigenschaften der Sedimentschichten des Meeresbodens einen weit reichenden Einblick in die Klima- und Umweltbedingungen der letzten Jahrmillionen“, zeigt Wonik die Vorteile der Bohrlochmessungen auf.
„Ich freue mich jedenfalls sehr darauf, im Oktober 2007 wieder in die Antarktis zu fahren, auch wenn ich dann Weihnachten nicht zu Hause verbringen kann“ fügt Wonik abschließend hinzu. „Mich reizt die Aufgabe, gemeinsam mit über 50 Fachkollegen in einem internationalen Forschungsprojekt das Maximum an Informationen aus einer 1.000 Meter tiefen Bohrung herauszuholen.“
(Thomas Wonik / Institut für Geowissenschaftliche Gemeinschaftsaufgaben (GGA-Institut) / Geozentrum Hannover, 15.06.2007 – AHE)