Forscher haben einen bisher unbekannten Zusammenhang zwischen einzelnen Erdbeben einer bestimmten Region entdeckt. Danach zeigen die Erdstöße eine Art „Gedächtnis“ für den Abstand zwischen zwei Beben.
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Am zweiten Weihnachtstag 2004 löste ein Erdbeben vor Sumatra eine riesige Flutwelle aus, die viele Küsten des Indischen Ozeans verwüstete. Drei Monate später bebte dort schon wieder die Erde. Diese Erdbeben nehmen Rang 4 und 7 auf der Liste der stärksten jemals gemessenen Beben ein – „Nachbeben“ nennen Geophysiker dieses Phänomen. Aber abgesehen von diesem Phänomen sahen Geophysiker bisher keinen zeitlichen Zusammenhang zwischen verschiedenen Erdbeben.
Wann sind Erdbeben überfällig?
Das wird sich durch eine neue Studie ändern, über die der Gießener Professor für Theoretische Physik Armin Bunde jetzt in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ berichtet. Für viele Gebiete der Erde ist gut bekannt, wie lange man nach einem Beben bestimmter Stärke durchschnittlich warten muss, damit wieder ein ähnlich starkes Beben eintritt. Lässt das Beben dann länger auf sich warten, neigt man intuitiv dazu anzunehmen, dass es allmählich „überfällig“ wird, also die Wahrscheinlichkeit dafür wächst. Die Bewohner von Tokio oder San Francisco leben beispielsweise in dieser Angst.
Doch hier führt die Intuition in die Irre, wie Bunde zusammen mit seinem Kollegen Shlomo Havlin und Valeri Livina von der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan / Israel anhand von Erdbebendaten aus so verschiedenen Gebieten wie der Kamtschatka- Halbinsel, Neuseeland oder Südkalifornien zeigen konnte.
War der zeitliche Abstand zwischen zwei Beben gleicher Stärke besonders kurz, dann wird zwar das nächste Beben ebenfalls überdurchschnittlich schnell eintreffen. Der Zusammenhang gilt aber auch umgekehrt: Wenn ein Beben besonders lange auf sich hat warten lassen, dann sind die Aussichten gut, dass auch das Folgebeben erst nach einer überdurchschnittlich langen Zeit eintrifft.
Ursache für Gedächtnis-Effekt unklar
Erdbeben zeigen also ein „Gedächtnis“ und das über Jahre. Ein Effekt, den Bunde bisher schon am Beispiel verschiedener Wetterphänomene demonstrieren konnte, unter Geophysikern aber bislang unbekannt war. Wie dieser Gedächtnis-Effekt zu erklären ist, ist bisher für den Forscher noch unklar.
Das Team um Bunde hat weltweit Erdbeben der Magnitude zwei bis 5,5 untersucht. Stärkere Beben sind glücklicherweise so selten, dass ihre Zahl für eine statistische Auswertung nicht mehr ausreicht. Bunde vermutet jedoch, dass der von ihm entdeckte Zusammenhang auch für Beben von einer Magnitude über sechs gilt.
Die Ergebnisse geben staatlichen Behörden einen Hinweis darauf, wie oft mit Erdbeben einer bestimmten Stärke zu rechnen ist. Sie sind aber auch für Versicherungsunternehmen interessant, die Gebäude in Erdbebengebieten versichern.
(idw – Universität Gießen, 11.11.2005 – DLO)